Phosphate (Salze von Phosphor) sind lebensnotwendig. Kein Organismus kommt ohne sie aus. Als Mineralstoff sind sie wichtig für Menschen, Tiere und Pflanzen. In Düngemitteln sind Phosphate ein Basiselement; Pflanzen verkümmern, wenn sie nicht genügend Phosphate aufnehmen können, für die landwirtschaftliche Sicherung der Lebensmittelgewinnung sind sie somit schlicht unentbehrlich. Was unmittelbar zum Problempunkt führt: Denn als abbaubarer Rohstoff sind Phosphorvorkommen begrenzt, also endlich. Und das zunehmend spürbar.
In einer Hintergrundanalyse für den „Tagesspiegel“ schilderte Oliver Rottmann vom Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge (KOWID) der Uni Leipzig die daraus entstehende Situation: „Bei steigender Nachfrage durch eine zunehmende Weltbevölkerung verringert sich der Anfang des 21. Jahrhunderts geschätzte abbaubare Vorrat an Phosphat von bis zu 100 Jahren deutlich.“
Schwindende Phosphorressourcen durch weltpolitische Krise betont
Das Problem der schwindenden Phosphorressourcen tritt durch die momentane weltpolitische Krise noch einmal verstärkter zu Tage: Bis vor kurzem importierten die EU und mithin Deutschland Phosphor großteilig aus China und Russland. Das hat sich grundlegend geändert. Wo China – lange weltgrößter Phosphatexporteur – aufgrund seines stark gestiegenen Eigenbedarfs die Ausfuhr massiv gedrosselt hat, darf seit dem Ukrainekrieg und dem darauffolgenden Embargo-Maßnahmen kein europäischer Düngemittelhersteller mehr Phosphate aus der russischen Föderation beziehen. Die ökonomischen Folgen, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand.
Gleichwohl ist an der Stelle einzufügen, dass speziell die Preise am Mineraldüngermarkt schon vor dem Ukrainekrieg exorbitant stiegen. So war 2021 bei Phosphatdünger ein Preisplus von 60 Prozent zu verzeichnen; man sprach von einer „gewaltigen Preisexplosion“ und „Panik am Mineraldüngermarkt“. Inzwischen haben sich die Zahlen noch verdreifacht. Soll heißen: Im Gesamtkontext betrachtet, setzt die momentane Situation „nur“ eine ohnehin schon prekäre Tendenz fort. Was allerdings auch weiterhin heißt: Nach Lösungsansätzen wird deshalb gerade auch in Deutschland schon länger gesucht. Klärschlamm kommt dabei eine besondere Rolle zu.
Phosphor-Recycling aus Klärschlamm
Klärschlamm entsteht bei der biologischen Reinigungsbehandlung von Abwässern, also bei der Sedimentation der im Abwasser enthaltenen abgestorbenen Mikroorganismen. Neben einem relativ hohen Stickstoffgehalt verfügt Klärschlämme zudem auch über einen hohen Phosphoranteil. Im Kontext der oben skizzierten Situation, macht dies Klärschlamm zu einer zunehmend wertvollen Ressource. In Deutschland liegt deren Sicherung und Nutzung weitgehend in der Hand der Kommunen. Der Grund dafür ist einfach: Klärschlämme stammen vor allem aus kommunalen Kläranlagen, die Abwässer aus denen sie gewonnen werden aus der kommunalen Kanalisation.
Nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) wurden 2019 knapp ein Fünftel der rund 1,7 Millionen Tonnen kommunalen Klärschlamms in der Landwirtschaft bzw. bei „Maßnahmen des Landschaftsbaus zu Düngezwecken eingesetzt.“ Die verbleibende Menge Klärschlamm wird als Sekundärbrennstoff in Kraft- und Zementwerken verwendet oder auf Deponien gelagert. Was insgesamt für die Nutzung von Klärschlamm als Phosphatlieferant, freilich schlicht kontraproduktiv ist.
Der Stellenwert von Phosphaten (und damit von Klärschlamm) ist der Politik schon länger bewusst. Diesbezügliche Rahmenrichtlinien reichen etwa vom Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess), mit dem die Bundesregierung 2012 die Erfordernisse eines „ressourcenschutzrelevanten Stoffstroms“ fixierte, über die Aufnahme von Phosphor in die von der EU erstellte Liste der kritischen Rohstoffe im Jahr 2014, bis hin zur Novellierung der AbfKlärV, der Klärschlammverordnung, 2017. Vor allem letztere (im konkreten Wortlaut: „Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung“) manifestiert eine grundlegende Neuausrichtung in Deutschland.
Kernpunkte der novellierten Klärschlammverordnung
Im Wesentlichen verfügt die neue Klärschlammverordnung eine optimierte Verzahnung von ökologischen und ökonomischen Notwendigkeiten. Zwei Kernpunkte bilden die Basis:
- Die Novellierung verschärft die bisherigen Vorgaben für eine bodenbezogene Klärschlammverwertung und dehnt diese auf Maßnahmen des Landschaftsbaus aus.
- Die Novellierung priorisiert damit einhergehend erstmals umfassende Vorgaben zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm bzw. Klärschlammverbrennungsaschen.
Übergangsfristen der Klärschlammverordnung
Die Phosphorrückgewinnung als ein zentrales Element der Verordnung und die damit verbundenen Detailvorgaben müssen die Betreiber von Abwasserbehandlungs- und Klärschlammverbrennungsanlagen spätestens ab dem 01.01.2029 bzw. dem 01.01.2032 umfänglich erfüllen. Die unterschiedlichen Fristen sind nach den Einwohnerwerten (kurz EW; d.i. die Anzahl der Einwohner, die im Einzugsgebiet einer Kläranlage leben) ausgerichtet. Für Anlagen mit mehr als 100.000 EW endet die Übergangsfrist 2029, für Anlagen mit mehr als 50.000 EW 2032. Für Anlagen mit einer Ausbaugröße von unter 50.000 EW bleibt eine bodenbezogene Klärschlammverwertung zulässig; diese Regelung, so das BMUV, „trägt den Besonderheiten ländlich geprägter Regionen Rechnung.“
Phosphor-Richtwert und deren Rückgewinnungsverfahren
Der Richtwert bzw. Mengengrenzwert, ab dem die Rückgewinnungsverfahren verpflichtend werden, ist bei einem Phosphorgehalt von 20 Gramm oder mehr je Kilogramm Trockenmasse festgelegt.
Für die Rückgewinnung stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
- Unmittelbare Rückgewinnung aus Klärschlamm: Verpflichtend ist eine Phosphorreduzierung um mindestens 50 Prozent bzw. auf weniger als 20 Gramm pro Kilogramm. Ausnahmen sind bei einem Phosphoranteil im Schlamm von mehr als 40 g/kg möglich.
- Thermische Vorbehandlung des Klärschlamms: Die Phosphatrückgewinnung erfolgt nach der thermischen Vorbehandlung aus der Asche, bzw. aus kohlenstoffhaltigem Rückstand. Die Vorbehandlung muss per Monoverbrennung oder einer mit Kohle oder Gas befeuerten Mitverbrennung erfolgen.
Bericht- und Registerpflicht der Klärschlammverordnung
Neu in der Klärschlammverordnung verankert sind auch Bericht- und Registerpflichten. Im Sinne der Planungssicherheit, vor allem auch bezüglich der notwendigen Errichtung einer zur Phosphorrückgewinnung erforderlichen Infrastruktur, müssen Klärschlammerzeuger bis spätestens Ende 2023 einen Bericht zu den von ihnen vorgesehenen oder schon eingeleiteten Maßnahmen zur Phosphorrückgewinnung, sowie über den Phosphorgehalt ihres Klärschlamm, den dafür zuständigen Behörden vorlegen. Weiterhin müssen Klärschlammerzeuger und Betreiber von Verbrennungsanlagen einen Nachweis über die Ergebnisse der Rückgewinnungsmaßnahmen führen. Diese Nachweise sind zehn Jahre lang aufzubewahren, eine Kopie ist an die zuständige Behörde zu senden. Betreiber von Verbrennungsanlagen müssen zudem eine zusätzliche Kopie an den Klärschlammerzeuger übermitteln.
Die Verpflichtung zu konkreten technologischen Verfahrensweisen bei der Phosphorrückgewinnung ist in der novellierten Klärschlammverordnung bewusst nicht vorgegeben; es soll hier den einzelnen Betreibern bzw. Kommunen Raum zur Entwicklung innovativer und den jeweiligen Begebenheiten vor Ort angepasster Verfahren gelassen werden.
Herausforderungen und Lösungsansätze der Phosphorrückgewinnung
Einerseits stehen großindustrielle Verfahren zur Phosphorrückgewinnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht umfänglich genug zur Verfügung. Andrerseits ist die Verwertung für Klärschlamm in der Landwirtschaft weitgehend hinfällig. Die Frage die daraus resultiert: Was tun mit dem (zeitweiligen) Klärschlammüberschuss?
Die Klärschlammverordnung sieht hier die Errichtung von Langzeitlagern für Verbrennungsaschen und kohlenstoffhaltigen Rückständen aus thermischen Vorbehandlungen vor. Ziel ist die Zwischenlagerung für die spätere Phosphorrückgewinnung. Favorisiert wird hier eine Lagerung auf den Flächen der Abwasserbehandlungsanlagen. Sollten dort allerdings die Platzkapazitäten ausgeschöpft sein, soll flexibel eine Zwischenlagerung außerhalb des Klärwerks, etwa auf geeigneten Deponien, möglich sein. Kommunale Verwaltungen müssen hier frühzeitig ein Lagerungs-Management (etwa durch Vernetzung von Kläranlagen- und Deponiebetreibern) installieren.
Aus- und Neubau von Monoverbrennungsanlagen
Da beim Einsatz in Mitverbrennungsanlagen in der Regel der Phosphorgehalt des Klärschlamms verloren geht, rücken die Möglichkeiten der Monoverbrennung verstärkt in den Fokus. Und das dergestalt, dass schon von einem „Boom“ beim Neubau von Monoverbrennungsanlagen die Rede geht und für die Zukunft gar die Gefahr von Überkapazitäten prognostiziert wird. Fakt ist: Der Zuwachs wird und muss kommen, will man die Vorgaben der novellierten Klärschlammverordnung erfüllen. Fakt ist auch: Zumal kommunale Entscheidungsträger müssen hier genaues Augenmaß walten lassen.
Und das in mehrfacher Hinsicht. Eine „Kurzstudie zum aktuellen Stand der Umsetzung der Klärschlammverordnung in Deutschland“ (durchgeführt vom Wirtschafts- und Prüfungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers GmbH mit der TU Braunschweig) hat eine Liste mit neun „zentralen Herausforderungen“ erstellt, die kommunale Verwaltungen bei der Errichtung von Monoverbrennungsanlagen zu beachten haben und ggf. in Prozessen der Entscheidungsfindung auch gegeneinander abwägen müssen. Diese zentralen Herausforderungen sind:
- Suche nach geeigneten Kooperationspartnern
- Suche nach geeignetem Standort
- Auswahl der jeweils optimalen Technologie
- Sicherstellung einer umfänglichen und langfristigen Anlagenauslastung (Akquise der erforderlichen Klärschlammmengen am Markt)
- Prüfung und Berücksichtigung rechtlicher Anforderungen
- Einhalten ökologischer Anforderungen
- Sicherstellen der Wirtschaftlichkeit
- Überwinden politischer Widerstände
- Überwinden von Widerständen in der Bevölkerung
Phosphor-Recycling zur CO2-Reduzierung
Die Phosphorgewinnung aus Klärschlamm hat enormes Potenzial: „Würde es gelingen, 100 Prozent des Phosphors aus den in Deutschland jährlich anfallenden Klärschlämmen zu recyceln, entspräche dies einem CO2-Fußabdruck von 27 Millionen Bäumen, wobei als Faustregel gilt, dass etwa 80 Laubbäume gepflanzt werden müssten, um jährlich eine Tonne CO2 zu kompensieren“, so Oliver Rottmann in seinem eingangs schon erwähnten „Tagesspiegel“-Hintergrundbeitrag. Laut Rottmann sei die novellierte Klärschlammverordnung dabei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, die Umsetzung müsse dann allerdings auch kontrolliert und „in den Ausschreibungen gelebt werden“. Nehme man Phosphor-Recycling ernst, so Rottmann weiter, würden „ab sofort beispielsweise keine Monoklärschlammverbrennungsanlagen ohne nachgelagertes Phosphor-Recycling mehr genehmigt werden.“ Rottmann sieht hier die Verantwortung auf der Seite der zuständigen Ministerien, die mit klaren Vorgaben an die Mittelbehörden helfen könnten, das Gesetz schneller und zielgenauer umzusetzen.
Kommunen nimmt das nicht aus der Verantwortung. Im Gegenteil. Rottmann betont nachdrücklich: „Um die Wege für das Recycling der lebenswichtigen Ressource Phosphat möglichst zügig zu ebnen, besteht allerdings auch die Notwendigkeit, Phosphor-Recycling bei der Vergabe von (öffentlichen) Aufträgen für die Klärschlammverwertung mit zu berücksichtigen.“ Und das mit Priorität! Eine Priorität, die sich nicht nur aus ökologischen und auch nicht nur aus weltwirtschaftlichen Gründen ergibt. Rottmann: „Mit der gewonnenen Phosphorsäure kann durch Kreislaufführung neue Asche behandelt werden. Da keine neue konventionell hergestellte Phosphorsäure zum Auflösen benötigt wird, trägt dies erheblich zur Wirtschaftlichkeit der Anlage bei und wirkt damit stabilisierend auf die in den Kommunen von den Bürgern zu entrichtenden Entsorgungsgebühren.“