Wie werden wir in Zukunft leben? Schon heute bilden Städte die zentralen Räume, in denen Wandel und Entwicklung stattfinden. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt aktuell in den urbanen Zentren unseres Planeten. Bis 2050 soll der Anteil auf über 80 Prozent steigen, so die Prognose des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Es sind also vor allem die Städte, in denen sich die Frage nach dem wie entscheidet. Hier geht es nicht nur darum, Wohnraum für alle zu schaffen und eine entsprechende Infrastruktur auszubauen.
In Anbetracht sich verändernder Klimaverhältnisse müssen Städte ganz neu gedacht werden. Starkregenereignisse nehmen zu und verursachen gerade in Gebieten mit versiegelten Oberflächen lokale Überflutungen. Hohe Temperaturen und Hitze machen den Aufenthalt an dicht bebauten Orten unerträglich und bisweilen sogar gesundheitsgefährdend. Weitläufig gepflasterte Marktplätze, von breiten Straßen umsäumte Stadtflüsse und lange Häuserschluchten aus Beton: Was bisher funktioniert hat, schafft zunehmend Probleme. Doch es geht auch anders.
Nachhaltiges Abwassermanagement in der Schwammstadt Berlin
Berlin Adlershof ist nicht nur bekannt als Deutschlands größter Medienstandort, Wissenschafts- und Technologiepark. In diesem „Reallabor“ werden bereits seit einigen Jahren neue klimafreundliche Technologien entwickelt, erforscht und im eigenen Quartier erprobt. Nachhaltiges, klimafreundliches Bauen und eine effiziente Versorgung mit Strom und Wärme– das sind die Grundlagen für den Aus- und Umbau der Berliner Wissenschaftsstadt. Neben dem Thema Energie finden sich hier viele Anregungen für ein nachhaltiges Abwassermanagement.
Regenwasser fließt hier nicht einfach in die Kanalisation. Statt im Gully zu verschwinden, sammelt es sich in begrünten Mulden neben der Straße. Dort wird es zeitweilig gespeichert und sickert durch eine Kiesschicht langsam in den Boden. Bei Starkregen hilft ein unterirdisches Drainagerohr, einen Teil des Wassers abzuleiten. Das ist das eine. Das andere sind Zisternen auf dem Dach, in denen sich Regenwasser sammelt. Sind diese voll, schwappt das Wasser über und läuft entlang begrünter Fassaden in riesige Blumenkübel. Hier wird das Wasser gespeichert und für die Bewässerung des Fassadengrüns genutzt. Das wiederum spendet Schatten und trägt im Sommer durch Verdunstung zu einem angenehm kühlen Raumklima bei.
Was ist das Schwammstadt Prinzip ?
Statt Regenwasser schnellstmöglich aus der Stadt auszuleiten, wird es für eine Weile dort, wo es anfällt, gespeichert und verzögert wieder abgegeben. Das ist die Idee der Schwammstadt – ein Konzept der Stadtplanung, welches angesichts von Starkregenereignissen und Hitze zunehmend an Bedeutung gewinnt. „Wir haben in der Vergangenheit gedacht, wir leiten das Wasser einfach aus der Stadt heraus, dann haben wir trotz Regenwetter trockene Straßen. Das war ein Trugschluss, denn wir können die Systeme nicht so groß bauen, dass sie so viel Wasser aufnehmen“, so die Hydrologin und Leiterin der Berliner Regenwasseragentur, Darla Nickel im Interview mit dem rbb. „Wir brauchen Regenwasser, um die Vegetation zu versorgen und damit über die Verdunstung die Stadt gekühlt wird.“
Die Regenwasseragentur wurde 2018 als gemeinsames Projekt des Berliner Senats und der Berliner Wasserbetriebe gegründet. Grundstückseigentümer und Investoren finden hier eine Anlaufstelle, um die Ressource Regenwasser bestmöglich zu berücksichtigen. „Wir haben neue Regeln in Berlin für den Umgang mit Regenwasser – das ist wirklich ein Paradigmenwechsel. Das Regenwasser soll vor Ort bleiben, nicht mehr abgeleitet werden“, so Nickel. Das Ziel: Kanalisation entlasten, Gewässerschutz stärken, Klimawandel begegnen. Hierfür sollen die Grundstücks- und Gebäudeflächen, von denen Niederschlagswasser direkt ins Abwassersystem gelangt, jährlich um ein Prozent verringert werden. Neue Wohnquartiere müssen von Anfang an ein dezentrales Regenwassermanagement einplanen.
Klimaresiliente Quartiere mit Schwammstadt
In Berlin gibt es mittlerweile einige solcher Gebiete. In der Rummelsburger Bucht beispielsweise halten Versickerungsmulden – also tiefergelegte, wannenförmige Grünflächen – Niederschlagswasser bei Starkregen zurück. Die begrünten Dächer im Wohngebiet fungieren als zusätzliche Wasserspeicher und wirken bei Hitze wie eine grüne Klimaanlage. Der Effekt ist messbar: Innerhalb des Quartiers liegen die Temperaturen deutlich unter denen der umliegenden Viertel. Etwas weiter südlich liegt das Quartier 52° Nord in Berlin-Grünau. In der Vorzeigesiedlung wurde neben begrünten Dächern, Vorgärten und Versickerungsmulden ein 6.000 Quadratmeter großes Regenwasserbecken errichtet. Bei starkem Regen entlastet dieses die benachbarte Dahme, sorgt an heißen Tagen für ein angenehmes Klima im Quartier und ist überdies ein echter Blickfang.
Die Stadt als Schwamm ist auch in Leipzig ein großes Thema. „Leipziger BlauGrün“ heißt das ambitionierte Projekt, das ein ganzes Stadtviertel mit einem klimaresilienten Wasser- und Vegetationsmanagement besser vor Extremwetter, Trockenheit und Überhitzung schützen soll. Auf dem Gelände des ehemaligen Freiladebahnhofs im Leipziger Stadtteil Eutritzsch entsteht derzeit ein 25 Hektar großes Quartier mit Versickerungsflächen wie Mulden und Baumrigolen, Retentionsgründächern, Zisternen, Grundwasserbrunnen und großem Park. In den 2.100 geplanten Wohnungen sollen rund 3.700 Menschen ein neues Zuhause finden. Geplant wird das Projekt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig gemeinsam mit der Universität Leipzig, städtischen Akteuren, Wirtschaftsunternehmen und Investoren. Mit der multifunktionalen blau-grünen Wasserinfrastruktur soll ein intaktes Stadtgrün gefördert und damit die Lebensqualität der Menschen verbessert werden.
Stadt der Zukunft ist grün und blau
Wie wollen wir in Zukunft leben? Die Schwammstadt ist sicher eine Antwort auf diese Frage. Hier steht das Quartier im Zentrum. In diesen Strukturen ergeben sich vielerlei Möglichkeiten für eine soziale, nachhaltige und klimaresiliente Entwicklung von Städten. Dabei gibt es mitnichten die eine Strategie für alle. Je nach lokalen Gegebenheiten müssen Kommunen das für sie passende Konzept im großen Ideenpool herausfiltern, mit den passenden Akteuren vor Ort einen umfassenden Plan erarbeiten und diesen umsetzen. An mehr vom Grün und Blau kommt sicher niemand vorbei. „Grün und blau – das ist die Stadt der Zukunft“, bekennt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy. „Eine solche Stadt ist auch in der Lage, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen.“