- Kultur, Nachtleben, Essengehen und Shopping sind die gängigen Kriterien, wenn es um die Attraktivität von Städten geht.
- In einer Vielzahl von Votings werden dabei Jahr für Jahr „die schönste Stadt“, „das schönste Dorf“, „der schönste Platz“ ermittelt.
- In einem aktuellen Ranking hat das Time Out Magazin das „coolste Viertel“ weltweit gekürt. Dabei spielten auch Lebensgefühl, Gemeinschaftsinn und Nachhaltigkeit eine Rolle.
- Der Philosoph und Autor Alain de Botton ist überzeugt: Schönheit ist objektiv. Er nennt hierfür sechs allgemeingültige Qualitäten einer attraktiven Stadt.
Ist Ihre die schönste Stadt Deutschlands? Wegen dem grünen Park um die Ecke? Der fleißigen Stadtreinigung? Dem Potpourri an Sprachen und Kulturen auf der Straße? Oder wegen der netten Nachbarn? Schönheit liegt ja bekanntermaßen im Auge des Betrachters. Dennoch gibt es ein paar Kriterien, die wohl einen gewissen Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzen.
Das kulturelle Angebot ist zum Beispiel etwas, womit sich eine Stadt rühmen kann. Oder eine besonders schöne Landschaft. Ein aufregendes Nachtleben zieht einige Menschen an oder Freizeitmöglichkeiten für Familien mit Kindern. Gibt es genug Bars, Restaurants und Shoppingmöglichkeiten?
Wer ist die Schönste Stadt im ganzen Land?
Das sind so in etwa die Kriterien, an denen sich eine Stadt messen lässt, zumindest wenn es um Lebensqualität und Tourismus geht. Rankings á la „Das sind die beliebtesten Kleinstädte“, „… die schönsten Inseln“, „… die besten Plätze“ etc. sind gefragte Lektüren und erleichtern manchem die Wahl des nächsten Urlaubs- oder vielleicht sogar Wohnortes.
Wer legt denn nun aber eigentlich fest, welche Stadt am schönsten ist? Bereits zum dritten Mal hat das global aufgestellte Time Out Magazin hierzu 27.000 Stadtbewohner auf der ganzen Welt sowie seine Redakteure vor Ort befragt. Von „toll“ bis „schrecklich“ konnten sie Restaurants und Bars, Kunst, Kultur und Museen, Nachtleben und Partys sowie Solidarität in ihrer Stadt und ihrem Viertel bewerten.
Auch die inneren Werte zählen
Aber nicht nur das. „Wie einfach ist es für Dich in Deiner Stadt, Deine Persönlichkeit auszudrücken? Neue Freunde zu finden?“, wollte das Magazin in seinem „Time out Index 2021“ wissen. Auch Nachbarschaft spielte bei der Befragung eine große Rolle sowie die Möglichkeit, ohne Auto überall hinzukommen, einen Spaziergang in der Natur oder im Grünen zu machen, überraschende und neue Dinge zu entdecken oder zu entspannen.
Neben Nachtleben, Kultur und Essengehen waren für die Time Out-Redakteure in diesem Ranking erstmalig auch Kriterien wie Lebensgefühl, Gemeinschaftsinn, Resilienz und Nachhaltigkeit wichtig. Denn während die Corona-Pandemie noch überall präsent ist und bisherige Prioritäten in Frage stellt, kehrt laut Time Out so etwas wie eine „bessere Normalität“ ein. Diese ist geprägt vom Leben auf der Straße, in Parks oder Hinterhöfen. Gemeinschaften wachsen zusammen, finden sich erstmalig oder erschaffen entgegen unmöglicher Widerstände Neues.
Das coolste Viertel
So wurde im Ranking nicht etwa die schönste Stadt gekürt, sondern das coolste Viertel. Und das ist Nørrebro im schönen Kopenhagen, Dänemark. Hier entstanden laut Time Out in den vergangenen zwei Jahren neue Bäckereien, Restaurants und Naturweinbars mit Schwerpunkt auf lokalen und saisonalen Produkten. Die Haupteinkaufsstraße Nørrebrogade verwandelte sich an autofreien Sonntagen zur Outdoor-Bühne für Livemusik und Flohmärkte und eine interaktive Kunstausstellung belebte den Stadtteil zusätzlich.
Auf Platz zwei landete Andersonville in Chicago, USA. Das einstmals verschlafene Dorf schwedischer Einwanderer ist heute ein beliebtes Viertel mit vielen kleinen Läden, einer alternativen Szene und lebendigen schwedischen Wurzeln – irgendwas scheinen die Skandinavier wohl richtig zu machen. Pluspunkt für Andersonvilles Bewohner in der Pandemie: Die Nähe zu Stränden und Parks direkt am Lake Michigan. Auch in punkto Nachhaltigkeit ist das Viertel engagiert: Im September startete hier die Initiative Clark Street Compost, die ein alternatives Kompostiermodell für Nachbarschaften in ganz Chicago erproben will.
Die Menschen machen’s aus
Auf Platz drei steht das Viertel Jongno 3-ga in Seoul, Südkorea. „Historisch, exzentrisch und sehr schlicht“, wie Time Out schreibt. Neben den Palästen, Gallerien und anderen touristischen Sehenswürdigkeiten liegt der tatsächliche Charme des Viertels jedoch bei den Menschen, die dort leben: Betagte Männer, die im Tapgol-Park Go spielen, Straßenhändler, die traditionelles Toffee feilbieten und allerlei kleine Geschäfte, Restaurants, versteckte Cafés und Bierstuben.
Immerhin auf Platz elf der coolsten Viertel hat es im Time Out Ranking auch ein deutscher Stadtteil geschafft. Ahnen Sie schon welcher? Neukölln. „Kein Stadtteil fängt die Dynamik des modernen Berlin besser ein“, schreibt der Autor Nathan Ma, der in der Hauptstadt lebt. Seiner Meinung nach sei trotz vieler neuer Bars und Boutiquen die multikulturelle Atmosphäre geblieben und das Viertel zudem ein Epizentrum für Demonstrationen gegen Rassismus und für bezahlbaren Wohnraum. Auch politisches Engagement kann eine Stadt demnach attraktiv machen.
Die schönsten deutschen Städte
Im internationalen Vergleich hat Deutschland leider nicht mehr zu bieten – zumindest nicht im Time Out Ranking. Doch wie uns nicht zuletzt die Pandemie gezeigt hat, muss das Schöne nicht immer in der Ferne liegen. Auch für Deutschland gibt es zahlreiche Rankings. In seinem jüngsten Leser-Voting hat das Online-Reisemagazin Travelbook die schönste Kleinstadt Deutschlands gekürt. Diese ist keine andere als die Hanse- und Kaiserstadt Tangermünde in Sachsen-Anhalt, welche vor allem durch Mittelalter-Flair, Idylle und Beschaulichkeit besticht.
Zu einem anderen Ergebnis kommt indes die Ferienhaus-Suchmaschine Holidu. Laut einer Auswertung von Google-Anfragen 2020 ist die bayerische Stadt Füssen mit ihrem Märchenschloss die meistgesuchte Kleinstadt der Deutschen, gefolgt von dem in traumhafter Natur gelegenen Städtchen Berchtesgaden, ebenfalls in Bayern. Was die Großstädte angeht, finden die Deutschen laut Travelbook-Umfrage Hamburg am schönsten (28 Prozent der ingesamt knapp 43.000 Befragten) – und zwar mit großem Abstand zur Stadt München, die auf Platz zwei (17 Prozent) landet. Ebenfalls aufs Treppchen geschafft hat es das „Elbflorenz“ Dresden (12 Prozent).
Sechs objektive Qualitäten
Gibt es also doch irgendwie eine objektive Schönheit? Ja, sagt Alain de Botton, Gründer der Londoner „School of Life“. Hier können Menschen lernen, ein gutes und erfülltes Leben zu führen. Und dazu gehört eben auch der Ort, an dem sich das Leben abspielt. Nach Meinung des Schweizer Autors und Philosophs ist Schönheit der Grundstein für Erfolg und Lebensqualität der Bürger einer Stadt. In einem Video nennt de Botton sechs Qualitäten, die eine Stadt attraktiv machen.
Zuallererst zeichnet sich eine attraktive Stadt durch ein ausgewogenes Verhältnis von Ordnung und Vielfalt aus. Das heißt: Plätze weisen eine gewisse Symmetrie auf, Gebäude ähneln sich zu einem gewissen Grad, z. B. sind alle Häuser einer Reihe ähnlich hoch, unterscheiden sich aber wiederum in ihrer Farbe oder in der Form des Daches. Zweitens herrscht in einer schönen Stadt sichtbares Leben. Man sieht Menschen, die auf den Straßen spazieren, ihrer Arbeit nachgehen, im Café sitzen etc. Zudem weist sie eine gewisse Dichte auf, es gibt kleine öffentliche Plätze, schmale Gassen, eng stehende Gebäude. Die Menschen sind allein räumlich miteinander verbunden.
Rankings haben Recht
Eine Mischung aus großen und kleinen Straßen sorgt dafür, dass Menschen einerseits effizient vorankommen und sich gut orientieren können, andererseits aber auch gelegentlich mal „verloren“ gehen und sich an geheimnisvollen, neuen Orten wiederfinden. Mit der fünften Qualität bezieht sich de Botton auf die Dimension von Städten. So sollte grundsätzlich kein Gebäude höher sein als fünf Stockwerke, außer es handelt sich dabei um ein Gebäude von wirklich hoher Bedeutung (und damit meint er nicht Gebäude von Sport,- Öl- und Pharmaindustrie oder Geldinstituten).
Zu guter Letzt bewahrt eine schöne Stadt ihren lokalen Charakter, der sowohl ihren kulturellen als auch geografischen Wurzeln zu verdanken ist. Den Beleg dafür, dass diese Qualitäten tatsächlich die objektive Schönheit von Städten und Gemeinden – gleich welcher Größe – widerspiegeln, sieht de Botton dabei in ebenjenen touristischen Statistiken, die uns die Wahl des Urlaubs- oder sogar Wohnortes erleichtern.