„Klärwerke sind unerschöpfte Goldgruben“, so titelte die WELT bereits im Juli 2011. Mit „Gold“ meinte die Autorin des Wissenschaftsbeitrags vor allem Phosphor – ein essentieller Bestandteil allen Lebens. Etwa zwei Gramm davon nimmt der Mensch täglich über Nahrungsmittel auf. Was der Körper nicht benötigt, wird ausgeschieden und landet letztlich in der Kläranlage. Dort endet in der Regel die Reise des Phosphors, der bislang zu 100 % aus dem Ausland nach Deutschland importiert wird.
Doch die Nachfrage nach diesem lebenswichtigen Rohstoff ist nicht nur hierzulande hoch – und die natürlichen Vorkommen weltweit begrenzt. Ein Umdenken ist also nötig. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und in der 2017 novellierten Klärschlammverordnung (AbfKlärV) eine Pflicht zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm formuliert. Denn das Gute an dieser endlichen Ressource ist: Sie lässt sich unendlich oft recyceln. Wie gelingt es aber nun, diesen „Goldschatz“ zu heben?
60.000 Tonnen Phosphor im Klärschlamm
Laut Statistischem Bundesamt fielen 2020 in Deutschland insgesamt rund 1,7 Millionen Tonnen Klärschlamm an – darin enthalten sind etwa 60.000 Tonnen Phosphor. Von den 1,7 Millionen wurden circa 1,3 Millionen Tonnen Klärschlamm thermisch entsorgt und circa 400.000 Tonnen stofflich verwertet. Stofflich verwertet heißt: Klärschlamm wird gemäß AbfKlärV in der Landwirtschaft eingesetzt, bei landschaftsbaulichen Maßnahmen wie der Rekultivierung von Berg- und Tagebau sowie bei sonstigen Maßnahmen wie Vererdung und Kompostierung. Phosphor gelangte bisher demnach in Form von Klärschlamm wieder in den Kreislauf zurück, gemeinsam mit den in diesem Abfallprodukt ebenfalls enthaltenen Schwermetallen, Arzneimittelrückständen, Enzymen, Hormonen und Mikroplastik.
Diese bodenbezogene Verwertung von Klärschlamm hat der Gesetzgeber mit der AbfKlärV deutlich eingeschränkt und gleichzeitig die Bedeutung von Phosphor für die Landwirtschaft etc. hervorgehoben. Spätestens ab 2029 müssen Betreiber von Abwasserbehandlungs- und Klärschlammverbrennungsanlagen diesen Wertstoff aus Klärschlamm bzw. aus dessen Asche zurückgewinnen. Kleinere Anlagen haben Zeit bis 2032. Welche Technologien dabei zur Anwendung kommen, ist vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben. Das lässt Raum für die Entwicklung und den Einsatz innovativer Verfahren.
P-Recycling innerhalb der Abwasserreinigung und Klärschlammbehandlung
Entlang der Prozesskette der Abwasserreinigung und Klärschlammbehandlung gibt es verschiedene Ansatzpunkte für das Recycling von Phosphor. Dieses kann in der wässrigen Phase aus Schlamm- bzw. Prozesswasser gewonnen werden, aus weitgehend entwässertem Klärschlamm bzw. Faulschlamm oder aus Klärschlammasche, die nach der thermischen Abfallverwertung übrig bleibt. Weltweit wurden Verfahren entwickelt, die an unterschiedlichen Punkten innerhalb dieser Kette ansetzen. Auch die Bundesregierung hat von 2004 bis 2011 im Rahmen einer Initiative für Ressourcenschutz die Entwicklung und großtechnische Umsetzung von Verfahren zur P-Rückgewinnung gefördert. Als besonders aussichtsreich haben sich dabei nasschemische und thermochemische Prozesse erwiesen, die zum einen mit Schlammwasser, zum anderen mit Asche arbeiten.
Verfahren zur P-Rückgewinnung
Ein Verfahren, das bereits zu Beginn der Prozesskette ansetzt, ist beispielsweise PhosForce. Hierbei wird mittels Bioversauerung und Fällung aus dem Primär- und Überschussschlamm ein beträchtlicher Phosphoranteil in Form von Struvit gewonnen (30 bis 50 %). Das hat für Betreiber von Kläranlagen zwei Vorteile: Zum einen wird das Risiko minimiert, dass sich nach Verlassen des Faulbehälters spontane Struvitkristalle an Anlagenteilen wie Pumpen und Schiebern bilden – ein Risiko, dass besonders Kläranlagen mit vermehrt biologischer P-Elimination betrifft. Zum anderen lässt sich der verbleibende Klärschlamm flexibler entsorgen, da sämtliche Wege der thermischen Verwertung offenbleiben – sofern der Phosphorgehalt im Klärschlamm um mindestens 50 bis < 20 g/kg Trockenmasse verringert wurde. Eine solche Verfahrensweise ermöglicht eine lokale Lösung.
Dezentral umgesetzt werden kann beispielsweise auch das Stuttgarter Verfahren, bei dem die Phosphor-Rückgewinnung mittels sauerer Laugung von Faulschlamm und anschließender Struvitfällung erfolgt. Je nach angestrebtem Rückgewinnungspotential kann hierbei bis zu 67 % Phosphor recycelt werden.
Als Favorit in Sachen Phosphorrecycling gilt derzeit die Monoverbrennung mit anschließender Aufbereitung der Asche. Das Umweltbundesamt rechnet es in einer Publikation zum Thema „Klärschlammentsorgung“ vor: Würde man sämtlichen, in Deutschland anfallenden Klärschlamm thermochemisch verwerten, ließen sich aus der Asche rund 50.000 Tonnen Phosphor im Jahr zurückgewinnen. Das entspräche rund 40 % des derzeitigen landwirtschaftlichen Verbrauchs. Das thermochemische Vorgehen ist aus verfahrenstechnischer Sicht günstig: Durch Verbrennung der organischen Anteile im Klärschlamm kann eine deutlich höhere Konzentration von Phosphor erzielt werden als bei der Rückgewinnung aus Prozesswasser oder entwässertem Klärschlamm bzw. Faulschlamm. So können beispielsweise mit den Verfahren AshTec® zwischen 95 und 100 % Phosphor aus Klärschlammasche gewonnen werden. Das macht eine solche Vorgehensweise dann auch aus wirtschaftlicher Sicht attraktiv.
Zusätzlich können auch weitere Wertstoffe wie Kalzium, Eisen und Aluminium zurückgewonnen werden, wie es beispielsweise das TetraPhos®-Verfahren ermöglicht. Hierbei werden durch Kreislaufführung von Phosphorsäure und Zugabe von Schwefelsäure in mehreren Prozessschritten Phosphate und Mineralstoffe aus der Klärschlammasche herausgelöst und voneinander getrennt. Zielprodukt ist eine schadstoffarme Phosphorsäure, die unter dem Markennamen RePacid® z. B. in der Dünge- und Chemieindustrie weiterverwendet wird. Die im Prozess gewonnenen Metallsalze werden wiederum in der Kläranlage zur Phosphorelimination eingesetzt. Auch das abgetrennte Kalzium wird zu Gips (Kalziumsulfat-Dihydrat) und die Minerale finden weitere Verwendungen, z. B. in der Baustoffindustrie.
Entwässerungsbetriebe kooperieren bei Umsetzung
Verfahren zur Rückgewinnung von Phosphor gibt es. Wie wirtschaftlich diese am Ende tatsächlich sind, wird sich zeigen. Die in Hamburg weltweit erste Phosphorrecyclinganlage geht hier mit gutem Beispiel voran: Das mit dem GreenTec Award 2016 ausgezeichnete TetraPhos®-Verfahren ermöglicht eine wirtschaftlich effiziente und großtechnisch umsetzbare P-Rückgewinnung – jährlich rund 7.000 Tonnen hochreine Phosphorsäure aus 20.000 Tonnen Klärschlamm. Rückenwind für den Betrieb der Anlage erhält das kommunale Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsunternehmen HAMBURG WASSER dabei aus der Privatwirtschaft.
Was in der Hamburger Kläranlage schon heute läuft, wird vielerorts erst angegangen. Entsprechende Infrastrukturen müssen neu geschaffen werden, vor allem der Bau von Monoverbrennungsanlagen boomt. In einer 2020 vorgestellten Studie zum Thema „Klärschlammentsorgung 2030“ von waste:research ist die Rede von 43 geplanten Projekten für Klärschlamm-Monoverbrennungsanlagen. Das sind fast doppelt so viele Anlagen mehr als deutschlandweit aktuell in Betrieb sind. Um tragfähige Konzepte zu erarbeiten und die erheblichen Investitionskosten zu teilen, schließen sich viele Entwässerungsbetriebe zu Kooperationen zusammen. Auch spezialisierte Unternehmen tragen mit ihrem technologischen Know-how zu einer wirtschaftlichen Umsetzung der Anforderungen an ein zukünftiges P-Recycling bei.
Phosphorrecycling: Eine zukünftige Herausforderung
Angesichts verknappter Entsorgungswege wird Kommunen zukünftig auch vor allem die Frage nach einer sicheren Entsorgung von Klärschlamm beschäftigen, ist sich Andreas Rak, Mitbegründer des patentierten TetraPhos®-Verfahrens, sicher. „Ab Inkrafttreten der P-Rückgewinnungspflicht werden Mono-Verbrennungen zu Vorbehandlungsanlagen. Es fehlt der Schritt der P-Rückgewinnung, folglich ist der Klärschlamm künftig nicht abschließend entsorgt“, schildert der Experte für P-Rückgewinnung das Problem. Heutige Planungen für Verbrennungskapazitäten müssten daher das Phosphorrecycling inkludieren. „Verschiedene Verfahrensgeber haben nachgewiesen, dass Phosphorrecycling schon heute technisch möglich und wirtschaftlich machbar ist. Die Kreislaufwirtschaft hat also das Know-how, die Kommunen haben den Stoffstrom, der Wettbewerb um Öffentlich-Private-Partnerschaften für das Phosphorrecycling kann starten.“