Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sorgte im März 2021 für Gesprächsstoff: Nach Beschwerden von Klimaschützerinnen und Klimaschützern erklärte der Erste Senat das Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG) für verfassungswidrig. Der Grund: Das KSG verfügte nicht über ausreichende Vorgaben für die Reduzierung von CO2-Emissionen ab dem Jahr 2031. Damit würden Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und zulasten der jüngeren Generation verschoben, so die Richter. Mit ihrem Urteil nahmen sie Bezug auf das im Grundgesetz in Artikel 20a festgeschriebene Recht auf Umweltschutz.
Was hat dieser Beschluss mit Kommunen und öffentlicher Beschaffung zu tun? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verdeutlichte sehr eindrücklich den Stellenwert des Klimaschutzes in der Rechtsprechung und wirft für Kommunen eine Reihe von Fragen auf: Wie verbindlich ist Klimaschutz im Verwaltungshandeln? Wie können die rechtlichen Anforderungen daran praktisch und effektiv in der kommunalen Vergabe von Aufträgen umgesetzt werden? Und welche Berücksichtigung findet Klimaschutz in aktuellen Ausschreibungen?
Klimaschutz ist rechtlich verankert
Klimaschutz ist ein wichtiger Bestandteil des Vergaberechts bzw. der Vergabeverordnung (VgV). Dieses verfolgt längst nicht mehr nur finanzielle Aspekte, sondern auch politische Ziele, wie die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte schrittweise Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2045 um 100 % (Netto-Treibhausgasneutralität; siehe KSG § 3 [2]). Dort steht unter § 13 ausdrücklich, dass „die Träger öffentlicher Aufgaben […] bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes [KSG] und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen [haben]“.
Wie dieses Berücksichtigungsgebot von den Kommunen konkret ausgestaltet wird, bleibt ihnen überlassen. Anders als der Bund müssen Städte und Gemeinden bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und Beschaffungen keinen CO2-Preis erheben. Ganz konkret wird es für Kommunen aber bei der Beschaffung von Fahrzeugen und Dienstleistungen. Hier müssen sie einen Mindestprozentsatz sauberer und emissionsfreier Nutzfahrzeuge einhalten (§ 5 [1] SaubFahrzeugBeschG). Auch bei der Beschaffung von Waren oder Dienstleistungen, die Energie verbrauchen, müssen bestimmte Anforderungen an Energieeffizienz gestellt werden (§ 67 [1] VgV).
Öffentliche Beschaffung und umweltbezogene Aspekte
Das Vergaberecht legt ausdrücklich fest, dass auch umweltbezogene Aspekte bei der Beschaffung berücksichtigt werden können, und zwar in allen Phasen des Vergabeverfahrens:
Klimaschutz als Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand
Das Bundesamt für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sieht Bund, Länder und Kommunen in puncto nachhaltiger Beschaffung in der Vorbildfunktion. Mit einem Investitionsvolumen von rund 500 Milliarden Euro trage die öffentliche Hand einen großen Anteil am Erwerb von Waren und Dienstleistungen in Deutschland, so das BMUV. Mengenmäßig seien dabei vor allem Kommunen – vor Ländern und Bund – die mit Abstand größten öffentlichen Beschaffer. Als solche haben sie eine erhebliche Lenkungswirkung auf den Markt umweltfreundlicher Produkte und Innovationen.
Klimaschutz vor Wirtschaftlichkeit – das ist vielerorts sicher vor allem eine finanzielle Entscheidung. Laut einer aktuellen Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) und der Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) würde eine umweltfreundliche Beschaffung die öffentliche Hand etwa drei bis sechs Prozent mehr kosten als die herkömmliche, „zumindest auf kurze Sicht“. Doch, wie die Studienautoren anmerken, verursachten die Folgen des Klimawandels ebenfalls Kosten. Hier könnten Staaten, Länder und Kommunen weltweit lenkend eingreifen und mit der Umstellung auf eine umweltfreundliche Beschaffung etwa 15 % der globalen Treibhausgasemissionen einsparen. „Die Kaufkraft der öffentlichen Hand wird in Diskussionen über den Weg zur Netto-Null oft übersehen“, betonte Jörg Hildebrandt, Geschäftsführer und Senior Partner der BCG, zuletzt gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Nachhaltige Beschaffung zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Auch wenn Klimaschutz mittlerweile ein entscheidender rechtlicher Aspekt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist, sieht die Realität größtenteils anders aus. „Nachhaltige Kriterien spielen bisher noch eine untergeordnete Rolle bei Ausschreibungen im öffentlichen Sektor“, schreiben Malte Küper und Andreas Fischer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) in der Ende 2021 erschienenen Studie „Green Public Procurement: Potenziale einer nachhaltigen Beschaffung“. Laut den IW-Forschern blieben enorme Potenziale ungenutzt, die einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 leisten könnten.
Als besonders hoch sehen die Studienautoren das Potenzial im emissionsintensiven Bausektor, der knapp 40 % der öffentlichen Großaufträge ausmacht. Hier müsste man bei der Produktion der benötigten Grundstoffe ansetzen, die einen Großteil der Emissionen verursachten. „Stahl und Kunststoff beispielsweise können durch den Einsatz von klimafreundlichem Wasserstoff nahezu CO2-neutral produziert werden“, so Fischer und Küper. Sie bekennen aber auch, dass diese alternativen Technologien zur klimaneutralen Herstellung von Gütern aufgrund hoher Investitions- und Betriebskosten bisher nicht wirtschaftlich seien.
Ihr Vorschlag: Eine verpflichtende Quote auf grün produzierte Güter bei der öffentlichen Beschaffung, mit der Bund, Länder und Kommunen gleichzeitig einen gesicherten Absatzmarkt für klimafreundliche Grundstoffe und Investitionssicherheit für Unternehmen schaffen könnten. Und, prognostiziert BCG-Experte Jörg Hildebrandt, sobald „grünere“ Alternativen in größerem Umfang zur Verfügung stünden und die Produktion effizienter würde, dürften auch die Mehrausgaben „im Laufe der Zeit zurückgehen“.