Kommunen stehen im Zugzwang. Bis 2045 will die Bundesregierung Deutschland klimaneutral aufstellen. Das heißt: Es dürfen nur noch so viele Treibhausgase emittiert werden, wie durch Einbindung von Kohlenstoff – durch Wälder beispielsweise – wieder abgebaut werden können. Etappenziele auf dem Weg dorthin sind eine Einsparung von 65 % Treibhausgasen bis 2030 gegenüber 1990 und von mindestens 88 % bis 2040. Gelingen soll dies durch die Umsetzung gesetzlich verbindlicher Klimaziele in unterschiedlichsten Bereichen. Kommunen spielen bei der Umsetzung dieser ehrgeizigen Klimaschutz- und Klimafolgenanpassungen eine zentrale Rolle – sie legen Bebauungspläne und Umweltvorschriften fest, beeinflussen mit der Planung von Verkehrswegen vor Ort die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger, sind größte öffentliche Auftraggeberin und zuständig für kommunale Daseinsvorsorge.
Doch was EU, Bund und Länder in zahlreichen Gesetzen und Vorgaben fordern, ist nichts anderes als eine umfassende Transformation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die ohnehin vielerorts überforderten Städte und Gemeinden schaffen es vor lauter Pflicht- und vom Bund übertragenen Aufgaben kaum, ihre freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben in den Bereichen Kultur, Soziales und Erholung nachzukommen. Dabei bilden diese für viele Bürger und Bürgerinnen das eigentliche Kerngeschäft kommunaler Betätigung, lässt sich hieran doch der Lebenswert einer Kommune messen. Was müssen Kommunen stemmen? Und droht bei allen Pflichten eine Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung?
Klimaschutz an oberster Stelle
Angesichts der heute schon spürbaren Folgen des Klimawandels durchzieht das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit alle Lebensbereiche. Die Grundlage für vielerlei kommunale Aktivitäten in den kommenden Jahren bildet nach Einschätzung von Ludwig Gramlich, Professor für Wirtschaftsrecht an der TU Chemnitz, deshalb der European Green Deal und das vom Bund daraus abgeleitete nationale Klimaschutzgesetz.
Effiziente Gebäude mit Erneuerbaren Energien
Ein zentrales Thema: Energiewende. Durch die energieeffiziente Sanierung öffentlicher Gebäude sollen Emissionen stark reduziert werden. Kommunen müssen sich demnach auf eine Renovierungswelle gefasst machen. Die geplante EU-Gebäuderichtlinie sieht vor, dass 15 Prozent der Nichtwohngebäude mit der Energieeffizienzklasse G bis 2027 auf mindestens Klasse F verbessert werden und alle neu errichteten Gebäude im öffentlichen Sektor bis 2027 emissionsfrei sein sollen. Schon jetzt gilt dabei auf nationaler Ebene das Gebäudeenergiegesetz (GEG) als Nachfolgeregelung der Energieeinsparverordnung (EnEV) und setzt die Vorgaben der geplanten EU-Richtlinie um.
Im gleichen Atemzug lässt sich hier auch die Forderung nach einer nachhaltigen Energieversorgung nennen. Für einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien und um angesichts des andauernden Konflikts mit Russland unabhängig von ausländischen Gaslieferungen zu werden, hat die Bundesregierung jüngst das sogenannte Osterpaket aufgelegt. Dieser umfangreiche Katalog an Energiesofortmaßnahmen will vor allem Verfahren vereinfachen, die dem Ausbau von Windenergie, der Förderung von Photovoltaik sowie der dafür nötigen Infrastruktur dienen. Für Kommunen heißt das: Mehr Windkraft- und Solaranlagen, weniger bürokratische Hürden beim Aufbau und zusätzliche Möglichkeiten zur finanziellen Beteiligung.
Saubere Straßen mit alternativen Antrieben
Die regenerativ gewonnene Energie lässt sich dann auch gleich in einem anderen kommunalen Aufgabenfeld unterbringen, nämlich im Verkehr. Mit dem Gesetz über die Beschaffung und Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge, der Clean-Vehicles-Richtlinie, sind Städte und Gemeinden seit August 2021 dazu angehalten, bei der öffentlichen Auftragsvergabe verbindliche Mindestziele für emissionsfreie und -arme Fahrzeuge vorzugeben. Dies betrifft Busse im ÖPNV, die interne Fahrzeugflotte und auch bestimmte privatrechtlich organisierte Akteure wie Paket- und Postdienste sowie die Stadtreinigung. Marc Desens, Rechtswissenschaftler an der Universität Leipzig, sieht Kommunen vor allem auch unter Handlungsdruck, wenn es um die Möglichkeiten zum Betrieb von Elektrofahrzeugen geht: Im Rahmen der Förderrichtlinie Elektromobilität sollen deutschlandweit bis Ende 2025 mindestens 50.000 Ladestationen für E-Fahrzeuge errichtet werden. Hier müssen Kommunen ran, wenn sie sich klimaneutral aufstellen wollen.
Richtlinien als indirekte Lenkungsversuche
Es gibt viel zu tun und die Aufgabenliste ist lang. Doch auch wenn Kommunen derzeit von Gesetzen und Richtlinien überschwemmt werden: „Das sind in der Regel keine direkten, strikten Vorgaben, sondern zumeist indirekte Lenkungsversuche im Hinblick auf kommunale Aufgaben“, erklärt Rechtsexperte Ludwig Gramlich. Diese Aufgaben seien entweder orts- bzw. gebietsbezogen oder müssten notwendigerweise vor Ort wahrgenommen werden. Zugleich seien sie aber gemäß des föderalistischen Prinzips mit höheren Ebenen, wie Länder und Bund, organisatorisch und finanziell vernetzt. Was die EU-Regelungen angeht, gelte immer noch das Subsidaritätsprinzip, wonach die Europäische Union erst in staatliche Aufgaben eingreifen könne, wenn die entsprechenden Maßnahmen der Mitgliedsstaaten zur Erreichung eines bestimmten Ziels nicht ausreichten.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssen jetzt und in Zukunft zumindest immer mitgedacht werden. Was können Städte und Gemeinden tun, um der Wasserrahmenrichtlinie gerecht zu werden? Diese soll EU-weit dazu beitragen, den Zustand von Gewässern bis 2027 zu verbessern. Wie können deutsche Wälder im Sinne der neuen EU-Waldstrategie geschützt, wiederhergestellt und widerstandsfähiger gemacht werden? Ist das angesichts von lokal angepassten Bewirtschaftungsmethoden und unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen überhaupt ein Thema, was von europäischer Ebene aus gesteuert werden kann?
Alle Ebenen sind betroffen
Anpassungsmaßnahmen erstrecken sich auf alle Ebenen der Daseinsvorsorge. So verpflichtet das neuaufgelegte Verpackungsgesetz mit dem Ziel, Verpackungsabfälle zukünftig noch besser getrennt zu erfassen und zu recyclen, kommunale Abfallunternehmen zur Aufklärungsarbeit: Sie sollen Verbraucher über Sinn und Zweck von Abfalltrennung informieren und für einen nachhaltigen Umgang mit Verpackungen sensibilisieren. Bürgerkommunikation also.
Die neue EU-Textilstrategie stellt auch die kommunale Sammelstruktur für Alttextilien vor Herausforderungen. Ab 2025 müssen Altkleider getrennt gesammelt werden, um im Sinne der Kreislaufwirtschaft eine höhere Recyclingquote im Textilbereich zu erreichen. Ohne Frage ist das eine gute Sache, erfordert aber seitens der Städte und Gemeinden eine Neuorganisation des bestehenden Systems, d. h. vor allem Zeit und Geld.
Gleiches gilt für die Umstellung der Verwaltungsdienstleistungen auf digital. Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) sind Kommunen dazu angehalten, bis Ende 2022 einen Großteil ihrer Dienstleistungen über Verwaltungsportale online anzubieten, dies beinhaltet auch die Möglichkeit zum E-Payment.
Allein geht es nicht
„Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende, Demografie oder schlicht ein Erhalt elementarer Versorgung durch öffentliche Infrastruktur – Städte, Gemeinden und Landkreise stehen vor gewaltigen Herausforderungen“, lautet das Fazit von Dr. Oliver Rottmann, geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) in Leipzig. Um diese vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, bedürfe es stabiler öffentlicher Finanzen, so der Experte für Daseinsvorsorge. Doch Geld ist knapp. Rottmann beziffert den pandemiebedingten Einbruch kommunaler Steuereinnahmen für 2020 und 2021 auf 20 Milliarden Euro. Seine Prognose: Bis 2024 würden weitere Milliarden in den kommunalen Kassen fehlen. Milliarden, die in den nächsten Jahren eigentlich investiert werden müssten in Städtebau, Sanierung, Klimaschutz, Breitbandverbindungen, Bildungsinfrastruktur und vieles mehr. „Die kommunale Finanzlage müsste nachhaltig gestärkt werden, damit Kommunen ihren umfangreichen und steigenden Aufgaben für die Bürger nachkommen können“, sagt Dr. Rottmann. Teil der Lösung könne dabei eine neugedachte Steuerverteilung zwischen den föderalen Ebenen sein.
Auch Partnerschaften helfen Kommunen dabei, Pflichten zu schultern, ohne die eigentlichen Kernaufgaben aus den Augen zu verlieren. Das Zauberformel lautet hier: Synergien bilden. Sei es mit den Nachbargemeinden oder den privaten Dienstleistungsunternehmen. Denn eins steht fest: Im Alleingang geht es nicht.