Verkehrsfluss planen, Hochwasservorsorge treffen oder Energieeffizienz optimieren: Mittels virtueller Simulation lassen sich vielerlei Szenarien darstellen, auf deren Basis Kommunen Aktivitäten planen und entwickeln können. Grundlage hierfür ist der urbane digitale Zwilling – das Abbild einer Stadt oder eines Stadtteils im virtuellen Raum. Der ist mittlerweile nicht mehr nur Science-Fiction, sondern vielerorts Realität. Im Rahmen des Projekts „TwinBy – Digitale Zwillinge für Bayern“ hat bspw. die Kommune Schwabach in Mittelfranken ein digitales Modell der Stadt erstellt, welches mögliche Hochwasserflächen sichtbar macht und dabei hilft, Evakuierungspläne bei Starkregen zu verbessern. Zudem zeigt die Simulation Hitzeinseln innerhalb der Stadt an und ermöglicht so eine gezielte Begrünung der betroffenen Areale.
In Rheinland-Pfalz gibt es mit dem HydroZwilling bald einen neuen Service für die Landeskommunen. Das Simulationssystem visualisiert Sturzfluten und Flusshochwasser und errechnet verschiedene Überflutungsszenarien für sehr große Gebiete. Damit sollen zukünftig Starkregen- und Hochwasserereignisse mittels aktueller Wetterdaten simuliert und deren Ausmaß für einzelne Landesteile vorhergesagt werden. Im nordhessischen Kassel dient der digitale Zwilling als wichtige Datenbank für städtebauliche Entwicklungen, Planungsprozesse und unterschiedlichste Visualisierungen in der städtischen Verwaltung. Im frei zugänglichen 3-D-Modell können auch Bürgerinnen und Bürger das „virtuelle Paralleluniversum“ der Stadt erleben und interaktiv nutzen, wie z. B. den Sonnenstand für jeden beliebigen Ort in Kassel simulieren oder Gebäude und Landschaften genau vermessen.
Hier geht’s zum digitalen Zwilling der Stadt Kassel.
Kommunale Einsatzfelder urbaner Datenplattformen
Daten nutzbar machen und daraus Mehrwerte generieren: Das ist ein Trend, der sich mit zunehmender Digitalisierung in immer mehr Lebensbereiche ausweitet. Eine 2023 veröffentlichte Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) mit dem Titel „Urbane Datenplattformen“ untersuchte das Potenzial digitaler Zwillinge in der Stadtentwicklung und insbesondere der Stadtplanung. Der digitale Zwilling als urbane Datenplattform sei vor allem ein Unterstützungsinstrument der Stadtverwaltung, so das Resümee der Autoren. Er ermögliche es, in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Anwendungsfälle zu realisieren. Solche Datenplattformen können je nach Datenart, Nutzergruppe und Einsatzfeld vielfältige Formen annehmen und diverse Funktionen bereitstellen, wie das Beispiel des 3-D-Modells der Stadt Kassel zeigt.
Sophia Weß, Projektleiterin für Digitalisierungsprojekte beim Amt für Digitalisierung der Landeshauptstadt Stuttgart, identifizierte die derzeit wesentlichsten Einsatzfelder digitaler Zwillinge in der kommunalen Praxis: Städtebauplanung und -entwicklung, Verkehrs- und Energiesteuerung, Infrastrukturpflege, Abfallmanagement und Partizipationsformate. Datenplattformen in diesen Bereichen seien entweder ein reines 3-D-Abbild oder ließen eine Simulation mit Echtzeitdaten und Virtual Reality zu, so Weß. Doch auch wenn die ersten deutschen Kommunen bereits an der Konzeption digitaler Zwillinge arbeiteten, würden diese meist in Förderkontexten auftreten und trotz einiger identifizierter Anwendungsfälle nicht flächendeckend etabliert sein. Der digitale Zwilling steckt also noch in den Kinderschuhen.
Voraussetzungen für den digitalen Zwilling
Um einen digitalen Zwilling aufzubauen, bedarf es einiger Voraussetzungen. Grundsätzlich sollten die kommunalen Akteure ein gemeinsames Verständnis haben, befanden die Autoren der Studie zum Thema „Urbane Datenplattformen“. Dies bedeute insbesondere, Klarheit über die intendierten Nutzergruppen und Anwendungsfälle zu schaffen, bevor der Prozess der Beschaffung einer Datenplattform initiiert werde. Klar sollte auch sein, dass ein solcher Entwicklungsprozess ausreichend zeitlicher Ressourcen in der Kommunalverwaltung bedarf sowie einer entsprechenden Sachkenntnis. Nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema durch Literaturrecherche, Vorarbeiten des mit dem Aufbau einer solchen Plattform betrauten Teams in anderen Projekten und Austausch mit praxiserprobten Kommunalern in Workshops können dann weitere Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Hierbei stellen sich verschiedene Fragen:
- Sollte der digitale Zwilling nur für eine Kommune realisiert werden oder ist es sinnvoll, dabei mit benachbarten Gemeinden zusammenzuarbeiten?
- Gibt es entsprechende Kapazitäten innerhalb der Verwaltung, eine Datenplattform selbst zu entwickeln, oder sollte die Kommune die Lizenz für eine bestehende Software erwerben?
- Können neben Daten auch die grundlegenden Algorithmen zwischen Kommunen geteilt werden? Und welche organisatorischen und technischen Fragen gilt es, hier zu klären?
Um die Funktionen eines digitalen Zwillings für verschiedene Anwendungsbereiche dann vollumfänglich nutzen zu können, müssen Daten zu den grundlegenden Objekten, Infrastrukturen und Prozessen einer Stadt im Modell hinterlegt sein. Geeignete Datenarten hierfür sind zum einen Open Data bzw. offene Daten, die für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind, und zum anderen IoT-Daten (IoT: Internet of Things; Internet der Dinge), welche über Sensoren im öffentlichen Raum erfasst und auf der Datenplattform zur weiteren Auswertung verfügbar gemacht werden können. Diese Datensammlungen können Kommunen auf verschiedenste Weise nutzen:
- Datenmanagement als reine Ablage, in welcher Daten koordiniert und für bestimmte Zwecke abgerufen werden
- Visuelle Darstellung von Daten über das Dashboard der Datenplattform
- Weiterführende Datenverarbeitung zum Beispiel für andere Fachabteilungen und/oder Einbindung und Verknüpfung von Daten auf Websites oder mobilen Apps
- Datenmarktplatz zur Vernetzung und Interaktion von Anbietern und Nutzern von Daten
Connected Urban Twins arbeiten städteübergreifend zusammen
„Digitale Zwillinge machen eine Stadt aus verschiedenen Perspektiven erklärbar und helfen, komplexe urbane Herausforderungen zu meistern“, schreibt die Stadt Leipzig auf ihrer Website. In einem fünfjährigen Projekt zum Thema wollen die Städte Leipzig, Hamburg und München gemeinsam datengetriebene urbane Zwillinge weiterentwickeln und offene Standards hierfür etablieren. „Connected Urban Twins – Urbane Datenplattformen und Digitale Zwillinge für integrierte Stadtentwicklung“ (kurz: CUT) nennt sich das Vorhaben, welches die Kommunen noch bis Ende 2025 beschäftigen wird. Gefördert wird CUT im Rahmen der Modellprojekte Smart Cities des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Damit sollen Kommunen bei der Entwicklung von fächerübergreifenden und raumbezogenen Strategien für den Aufbau einer Smart City unterstützt werden. Seit 2019 zählt das Programm 73 Modellprojekte.
Das Team des Kooperationsprojekts CUT versteht den urbanen digitalen Zwilling als eine Art Baukastensystem. Dieses umfasst sämtliche digitale Ressourcen einer Stadt, wie Basisdaten zur städtischen Geografie sowieanwendungsspezifische Daten wie Informationen zu Bauvorhaben, Umweltschutz und Demografie. Je nach Fragestellung der Kommune werden einzelne Bestandteile miteinander kombiniert und die jeweils relevanten Aspekte über den digitalen Zwilling visualisiert und analysierbar gemacht. Wie das im konkreten Fall aussehen kann, zeigt beispielsweise eine Analyse der Parksituation in Leipzig. Hierbei wurden Straßenbilder mittels KI ausgewertet und die so gewonnenen Daten in das digitale Abbild der Stadt implementiert. Auf dieser Basis kann nun z. B. das Verkehrsamt ein neues Konzept für Anwohnerparkplätze entwickeln. Weitere Praxisbeispiele der CUT-Partnerstädte sind hier zu finden.
Smart City-Vorhaben brauchen dauerhafte Finanzierungslösungen
Die Beispiele aus Modellvorhaben zeigen, dass der digitale Zwilling als urbane Datenplattform das Potenzial hat, ein wichtiges Steuerungsinstrument für die kommunale Verwaltung zu werden. Doch dessen Entwicklung und Betrieb sind naturgemäß mit Kosten verbunden. Das oben beschriebene CUT-Projekt kostet die Kommunen rund 32,4 Millionen Euro. Davon kommen 21 Millionen Euro aus Fördermitteln des Bundes, etwa 11 Millionen Euro tragen die Städte selbst. Die entsprechenden Modellprojekte werden über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gefördert. Indem die Kommunen Leipzig, Hamburg und München ihre Ressourcen zusammenlegen, teilen sie Kosten und Risiken miteinander. Eine solche Zusammenarbeit ist aber nicht nur im interkommunalen Bereich denkbar, sondern schließt auch Partner aus der Privatwirtschaft mit ein.
Denn auch wenn es vermehrt Fördermöglichkeiten für Smart City-Vorhaben wie den Aufbau urbaner Datenplattformen gibt, sind diese i. d. R. zeitlich begrenzt. Prof. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal und ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sieht den Staat in der Verantwortung, mehr Fördermöglichkeiten zu schaffen. „Damit erfolgreiche Projekte in dauerhafte Lösungen überführt werden können, muss eine dauerhafte Finanzierung sichergestellt werden, denn Betrieb und Betreuung der eingesetzten Systeme kosten Geld“, so Schneidewind. Petr Suska, Forscher beim Fraunhofer Institute for Industrial Engineering IAO im Team Urban Economy Innovation, ist sich dagegen sicher, dass Innovation nur über innovative Finanzierung, neue Partnerschaftsformate und kreative Ansätze erfolgen könne: „Business as usual führt zu keiner realen Transformation oder Wandel.“
Hier beleuchten wir die Vor- und Nachteile einer Zusammenarbeit zwischen Kommune und Privatwirtschaft genauer.
Informationen zu aktuellen Fördermöglichkeiten für Kommunen finden Sie hier.