- Die Masse des Textilabfalls „läuft aus dem Ruder“ (VKU). Ein Problem in europäischem wie kommunalen Maßstab.
- Best Practice, Stakeholder, Umdenken: Das Zusammenführen von ökologischen, ökonomischen und sozialen Maßgaben ist möglich – und rentabel. Die Vor-Ort-Kernkompetenz liegt hier bei den Kommunen.
- Grundlegend gilt auch für Kommunen mehr denn je: Das Gesamtfeld im Blick behalten, die Belange von Produktion/Verkauf wie auch Recycling/Wiederverwertung zusammen bedenken und in Entscheidungsfindungen einbeziehen.
Umgangssprachlich werden Textilabfälle/Alttextilien oft als „Altkleider“ bezeichnet. Was etwas irreführend ist, da es sich bei Textilabfällen eben nicht ausschließlich um alte Bekleidungsstücke handelt, sondern das gesamte Spektrum textilstofflicher Abfallprodukte umfasst. Diese reichen von Bekleidungs-, über Haus- und Heimtextilien (Bettwäsche, Tischdecken, Vorhänge) bis hin zu Stoffen, die in technischen Produktionsverfahren Verwendung finden (z. B. Riemen und Zurrgurte aus industriellen oder technischen Produktionsverfahren). Trotz dieser Bandbreite ist gleichwohl die mit Abstand größte textilverarbeitende Branche die Bekleidungsindustrie – und in Folge dann auch die weitaus größte Verursacherin von Textilabfällen.
Altkleider: Abfallmengen laufen aus dem Ruder
Eine Studie des Bundesverbandes für Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) zeigt hier die Dimensionen auf: Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 1,3 Millionen Tonnen getrennt gesammelter Textilabfälle aus der Bekleidungsindustrie, Altkleider im eigentlichen Sinne, erfasst. Gegenüber dem Jahr 2015 entspricht das einer Steigerung um 90.000 Tonnen. Bis 2025 prognostiziert die Studie einen weiteren Anstieg der Altkleider-Sammelmenge um 2,2 Prozent.
Was sich natürlich einem ebenfalls steigenden Kaufverhalten schuldet: Der jährliche Bekleidungskonsum der Deutschen liegt z. Z. bei circa 26 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Das wiederum ist eine unmittelbare Folge des von der Bekleidungsindustrie forcierten Fast-Fashion-Geschäftsmodells, das Modekollektionen großteilig nicht nur trendbezogen, schnell und billig produziert, sondern zu entsprechenden Niedrigpreisen (und nicht selten in entsprechend niedriger Qualität) verkauft. Nach Schätzungen wird mehr als die Hälfte dieser Ware innerhalb eines Jahres wieder entsorgt. Hinzu kommt eine erhebliche Produktionsabfallmenge, die maßgeblich mit der Fast-Fashion-Herstellung verbunden ist – und allein in Deutschland auf 280.000 Tonnen geschätzt wird.
Kurz: Auf hohen Konsum folgen einmal mehr hohe Abfallmengen. So merkt auch der Verband kommunaler Unternehmer e. V. (VKU) alarmierend an, dass Produktion und Konsum von Kleidung in den letzten Jahren so wörtlich „völlig aus dem Ruder gelaufen“ sind: „Seit 1996 hat sich der EU-Kommission zufolge der Pro-Kopf-Verbrauch um 40 Prozent gesteigert, wobei gleichzeitig die Nutzungsdauer immer weiter abnimmt. Entsprechend steigen die Sammelmengen auf dem Alttextilmarkt.“ Ein Umdenken ist also dringend nötig. Vor dem Hintergrund der neuen EU-Textilstrategie, die eine Umstrukturierung des gesamten Textilsektors im Sinne der Kreislaufwirtschaft forciert, ist hier schon mal ein politischer Rahmen gesetzt.
Kleidung im Kreislauf denken
Was getan werden muss, um das Potenzial der Kreislaufwirtschaft für den textilen Bereich umfänglich nutzbar zu machen, bringt Dr. Hennig Wilts, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie auf den Punkt: „Eine Roadmap zur Kreislaufwirtschaft der Textilindustrie in Deutschland muss in ein konsistentes Gesamtkonzept integriert sein und die Vorgaben der Textilstrategie umfassen. Sie soll die Grundlage für die Umsetzung liefern und gleichzeitig helfen, Deutschland als Vorreiter der zirkularen Textilwirtschaft zu positionieren.“
Es geht hier um nicht weniger, als einen umfassenden Transformationsprozess. Diesen effizient und sinnführend zu gestalten, bedeutet auch: Unbürokratisch Rahmenbedingungen (ökonomisch, juristisch) installieren, Forschung forcieren, Innovationssynergien schaffen, indem Interessengruppen zusammengebracht (Multi-Stakeholder-Konzepte) und Best-Practice-Möglichkeiten geprüft werden. Und immer wieder auch: Das ganze System Textilien um- und neudenken.
Der TextilTiger kommt
„Welchen Impact habe ich mit meiner Kleiderspende?“, fragt da die Webseite des Hamburger TextilTiger und listet auf, wie viele Kleidungsstücke wie viel CO2 einsparen, würde man diese eben nicht neu, sondern gebraucht erwerben. TextilTiger setzt sich für die lokale Verwertung von Altkleidern ein, bietet einen kommunal quasi maßgeschneiderten Verwertungs-Service, der von der Abholung direkt beim Kunden über Sortierung bis zu Wiederverwertung und Recycling reicht.
Ein anderes Beispiel bietet das Unternehmen SOEX Processing & Recycling (Bitterfeld-Wolfen), das nicht mehr verkäufliche Schuhe einem mehrstufigen technologischen Prozess unterzieht, an dessen Ende vorwiegend aus Ledermehl bestehende Granulate zur Herstellung von neuen Sohlen oder auch von Fußbodenbelag verwendet werden.
Zukunftweisend auch das Wear2Wear-Projekt, mit dem eine geschlossene Wertschöpfungskette für Bekleidung durch den Zusammenschluss mehrerer europäischer Unternehmen aus diversen Bereichen geschaffen worden ist. Die Vision dahinter: hochwertige Textilprodukte aus 100 Prozent Alttextilien.
Transformation erfordert Kooperation
Drei Schlaglichter die beispielhaft beleuchten, wie sich sowohl auf lokal-kommunaler Ebene, aber auch im nationalen und europäischen Maßstab ökologische und ökonomische Belange positiv bedingen können – und dadurch profitabel in jeder Hinsicht sind.
Weitere Best-Practice-Konzepte plus detaillierter Ausführungen zu damit verknüpften technologischen, ökologischen und ökonomischen Aspekten, sind im Abschlussbericht zu der von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Untersuchung „Nachhaltigkeitskommunikation in der Abfallwirtschaft – Grundlagen und Best-Practice-Ansätze“ zu finden. Hier wird klar: Für eine effiziente, nachhaltige Transformation des gesamten Textilkomplexes müssen Verbraucher, Produzenten, Recyclingbetriebe und – last but not least – Kommunen eng miteinander interagieren und Verantwortung übernehmen. Kommunen kommt als Beschafferin der öffentlichen Hand eine nicht unwesentliche Marktmacht zu – und die Kernkompetenz für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Belange vor Ort.