Nahezu jede deutsche Stadt ist an einem Fluss errichtet. Der historische Grund hierfür liegt im natürlich hohen Trinkwasserbedarf von Siedlungen. Teil dieser notwendigen Flussnähe ist seit jeher auch eine Abfallproblematik, deren Gesicht sich jedoch im Laufe der Zeit verändert hat. Waren es früher hauptsächlich menschliche Exkremente, die über die Flüsse entsorgt wurden (was dank Abwassermanagement glücklicherweise der Vergangenheit angehört), sind es heutzutage in erster Linie Zeugnisse modernen Konsums, die flussabwärts treiben. Ein unnötiges Problem mit zwei Seiten: Ursache und Entsorgung.
Wie gelangen Abfälle in unsere Flüsse?
Schätzungen der NGO The Ocean Cleanup zufolge fließen 142 Tonnen Plastikmüll im Jahr über deutsche Flüsse in Nord- und Ostsee. Alle schwimmenden Abfallarten zusammengenommen, kommt allein der Rhein laut Messungen des NABU auf eine Tonne Abfall am Tag. Im Rahmen des Citizen-Science-Projekts „Plastic Pirates – Go Europe“ fanden Schülerinnen und Schüler zwischen 2016 und 2020 an 513 Standorten insgesamt 15.566 Abfallteile auf 32.097 Quadratmetern Flussufer. Damit war durchschnittlich jeder zweite Quadratmeter an diesen Orten mit Abfall verunreinigt. Die gefundenen Abfallfraktionen umfassten hauptsächlich Kunststoff und Zigarettenstummel, gefolgt von Glas, Papier und Metallgegenständen. Nahrungsmittelverpackungen aus Plastik und Zigarettenreste machten in 85 Prozent der Fälle die Hauptabfallfraktionen aus. An neun von zehn Fundorten fanden sich zudem potentiell gesundheitsgefährdende Abfälle wie Glasscherben, scharfe Metallgegenstände, benutzte Hygieneartikel oder Gegenstände, die Chemikalien enthielten.
Die gefundenen Abfälle gehen hauptsächlich auf Littering (achtlos weggeworfener Müll) zurück. Steigt der Wasserspiegel, gelangen sie vom Ufer in das jeweilige Gewässer. Begibt man sich tiefer in die Flüsse hinein, kommen vor allem in Großstädten häufig noch schwerere Abfallfraktionen wie Elektroroller, Fahrräder, Fernseher oder Einkaufswägen hinzu. In einigen Regionen scheint auch die absichtliche Entsorgung von Bioabfällen von am Flussufer gelegenen Grundstücken ein Problem zu sein. In erster Linie ist es jedoch die Unachtsamkeit von Menschen, die eigentlich die Flüsse nutzen, um an ihnen eine schöne Zeit zu verbringen, die zur Abfallbelastung der Gewässer führt.
Zuständigkeit für die Abfallentsorgung in Flüssen
Soweit die Verursacherseite. Doch was wird eigentlich in Deutschland gegen den bereits verursachten Abfall in Flüssen unternommen? Zunächst wäre da die Frage der Zuständigkeit bzw. deren rechtlicher Grundlagen. Generell gelten EU-weit die Bestimmungen der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Derzufolge muss jedes Gewässer in der Europäischen Union mindestens in einem „guten“ Zustand bzw. „mäßig belastet“ sein. Die Parameter, nach denen sich diese Güte richtet, berücksichtigen jedoch nicht das Abfallaufkommen, sondern lediglich Größen wie pH-Wert, Sauerstoffgehalt, Temperatur, Trübung oder elektrische Leitfähigkeit.
Stimmen die Werte eines Gewässers nicht, ist eine Gewässersanierung durchzuführen. Auch hier gehört die Abfallbeseitigung nicht zu den typischen Maßnahmen (wie Entschlammung oder Sauerstoffanreicherung u. a.). Ein Verstoß gegen EU-Recht und damit ein verpflichtender Handlungsbedarf bestünde also erst, wenn sich die Abfälle in den Flüssen negativ auf diese Werte auswirkten. Solange dies nicht der Fall ist, ist der Müll im Fluss sozusagen nicht schädlich genug.
Nationales Recht: Lücken und Unklarheiten bei Bundeswasserstraßen
Im deutschen Abfallrecht ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) der zentrale Rechtstext. Hier tut sich bereits eine bedenkliche Lücke auf, denn laut § 2 Abs. 2 Nr. 9 KrWG gelten die Vorschriften des Gesetzes nicht für „Stoffe, sobald sie in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden“. Daraus ergeben sich zwei Rückschlüsse: 1. Sobald sie ihren Weg in einen Fluss oder ein anderes Gewässer gefunden haben, verlieren Abfälle vor dem Bundesrecht ihre Abfalleigenschaft. Damit unterliegen sie auch nicht länger den „Pflichten der Erzeuger und Besitzer von Abfällen sowie der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger“. 2. Das KrWG gilt im Kontext von Flüssen nur für Abfälle, die sich noch an Land bzw. am Ufer befinden.
Wie lückenhaft oder unklar die Gesetzgebung in diesem Fall ist, zeigt eine gut dokumentierte Korrespondenz des Kölner Vereins K.R.A.K.E mit verschiedenen Bundes-, Landes- und kommunalen Behörden. Es ist möglich, dass mit den in § 2 Abs. 2 Nr. 9 KrWG genannten Stoffen keine Abfälle aus Littering etc. gemeint sind. Die Wasserschifffahrtsverwaltung (WSV) legt in einem Schreiben an den K.R.A.K.E e.V. dar, dass es sich dabei um Benutzungen handele, „die nach § 8 Abs. 1 WHG [Wasserhaushaltsgesetz] einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen“, was auf Littering definitiv nicht zutrifft.
Die WSV selbst ist für die verkehrliche Verwaltung der Bundeswasserstraßen wie Rhein, Donau und Elbe verantwortlich und muss dafür Sorge tragen, dass diese in „einem für die Schifffahrt geeigneten Zustand“ sind. Das Entfernen von Abfällen fällt ihr nur dann zu, wenn der Schiffsverkehr durch diese beeinträchtigt wird (etwa bei verschmutzten Schleusen, Wehren etc.). Die Zuständigkeit für die Abfallbeseitigung sieht sie gemäß § 20 Abs. 1 KrWG bei den Kommunen. Als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger hätten diese „die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen und Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen […] zu verwerten oder […] zu beseitigen“.
Das Bundesumweltministerium argumentiert demgegenüber konträr. Ebenfalls im Austausch mit K.R.A.K.E schließt eseine Anwendung des KrWG im Fall von Abfällen in Flüssen aus – aufgrund ebenjenes § 2 Abs. 2 Nr. 9. Dies korrespondiere mit § 32 Abs. 1 Satz 1 WHG, wonach feste Stoffe nicht in Gewässer eingebracht werden dürften. Im Klartext heißt das so viel wie: Es gibt keine Regelung für Abfälle in Flüssen, weil es diese Abfälle gar nicht geben darf.
Das Landesumweltministerium NRW sieht (zusammen mit dem Wasserschifffahrtsamt – WSA), ähnlich wie die WSV, die Kommunen in der Pflicht. Laut § 5 Abs. 2 LAbfG (Landesabfallgesetz) umfasse die „Entsorgungspflicht der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger das Einsammeln der in ihrem Gebiet angefallenen und zu überlassenden Abfälle“. Gemäß der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) bestehe das Gemeindegebiet „aus den Grundstücken, die nach geltendem Recht zu ihr gehören“. Die Eigentumsverhältnisse spielten dabei keine Rolle. Dort, wo der Rhein durch Köln fließt, wäre also auch der Abfall in ihm eine Sache der Stadt Köln. Allerdings sei es dabei fraglich, ob die Abfälle gleichsam als im Gemeindegebiet angefallen gälten. Das Ministerium schließt sein Schreiben an K.R.A.K.E daher mit der Einschätzung, dass es eine eindeutig passende Regelung nicht gebe.
Die Bezirksregierung Köln weist wiederum jede Verantwortung für Abfälle im Rhein und deren Beseitigung von sich. Wenn überhaupt sei der Rhein Sache des Gewässereigentümers, also des Bundes. Ob der Bund damit auch für die Entfernung des Abfalls zuständig sei, müsse jedoch die WSV beurteilen.
Länderübergreifend einheitliche Bestimmungen fehlen
Wie die Aufzeichnungen des K.R.A.K.E e.V. zeigen, beißt sich die Katze bei den Bundeswasserstraßen in den Schwanz. Wie es sich in Hinblick auf landeseigene oder kommunale Gewässer verhält, unterliegt – in Ermangelung an übergeordneter Vorgaben auf Bundesebene – dem Ermessen der Länder. Hier einige Beispiele, die wir über Anfragen an die jeweiligen Landesbehörden zusammengetragen haben:
Behörden setzen auf Initiativen, Vereine und Start-ups als Notlösung
Dort, wo die Zuständigkeit für Abfälle in den Flüssen nicht geregelt ist (wie bei den Bundeswasserstraßen), gilt leider allzu häufig: Keine Zuständigkeit, kein Interesse. Stattdessen überlassen die Behörden privaten und bürgerschaftlichen Initiativen oder gemeinnützigen Organisationen das Feld. Mittlerweile gibt es vielerorts Menschen, die den Müll im Rhein und anderswo nicht länger hinnehmen wollen und sich beispielsweise zu sogenannten CleanUps zusammenfinden. Dabei sammeln Freiwillige zumeist den achtlos weggeworfenen Abfall an den Ufern ein. Manchmal, bei niedrigem Wasserstand, steigt man auch durchaus direkt in den Fluss.
Aus einigen CleanUp-Aktionen sind mittlerweile Vereine oder andere gemeinnützige Organisationen hervorgegangen wie etwa der bereits mehrfach erwähnte K.R.A.K.E e.V. aus Köln oder die RhineCleanUp gGmbH in Düsseldorf. Ersterer hat sich bereits so stark in Köln etabliert, dass auf eine Anfrage unserer Redaktion bei der Stadt Köln zur Zuständigkeit für die Abfallbeseitigung im Rhein hin die K.R.A.K.E als „richtiger Ansprechpartner“ genannt wurde. Gleichzeitig erhält der Verein bei seinem Engagement jedoch keinerlei Unterstützung von der Stadt. Um beispielsweise eine eigens entwickelte Müllfalle – die „Rheinkrake“ – auf dem Rhein betreiben zu können, muss er sogar Pacht für das Grundstück bezahlen.
Lösungsansätze: Sensibilisierung, Unterstützung und Gesetzesreformen
Um zu verhindern, dass weiterhin Abfall über Binnengewässer in Deutschland ins Meer fließt, bedarf es verschiedener Lösungen. Zum einen müssen dringend die (potentiellen) Verursacher stärker für die Schädlichkeit ihres Verhaltens sensibilisiert werden. Dies beginnt bereits in den Schulen und könnte etwa durch Infotafeln in den Uferbereichen, direkte Ansprachen durch Entsorgungspersonal und ähnliche Maßnahmen unterstützt werden. Zum anderen ist es wichtig, dass denjenigen, die sich gemeinnützig für die Sauberkeit von Flüssen einsetzen, kommunale Unterstützung statt Widerstand erfahren. Die Realität sieht leider oft noch anders aus. Selbst CleanUp-Aktionen werden von Kommunen teils aus fadenscheinigen Gründen nicht genehmigt. Und nicht zuletzt braucht es eine Gesetzesreform, die auch auf Bundesebene klare Zuständigkeiten für die Abfallbeseitigung in Flüssen schafft.