Weltweit wächst die Menge an Textilabfällen. Mit einem Altkleideraufkommen von jährlich rund 1,3 Millionen Tonnen gehört Deutschland dabei zu den größten Verursachern. Enorme Mengen an gebrauchten Kleidern und Schuhen landen täglich in den vielen Altkleidercontainern und -sammelstellen in Kommunen. Von hier aus werden sie von Einrichtungen der öffentlichen Hand, gemeinnützigen Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz oder privaten Verwertungsunternehmen abgeholt, sortiert, als Secondhand-Ware weiterverkauft, recycelt oder entsorgt. Was bislang zu einem ordentlichem Stadtbild beigetragen hat, droht nun aber aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Der Markt für Alttextilien befinde sich in einer historischen Krise, warnte der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. In einem Appell an die kommunalen Spitzenverbände und den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) im November heißt es: „Die bislang verlässlich funktionierende Struktur der Alttextilsammlung und Verwertung in Deutschland steht unmittelbar vor einem Kollaps – mit dramatischen Folgen für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft.“
Fast Fashion verhindert Verkauf von Secondhand-Kleidung
Mit einer Quote von 70 Prozent bei der Getrenntsammlung von Altkleidern sei Deutschland im europäischen Vergleich gut aufgestellt, sagte bvse-Sprecher Thomas Fischer gegenüber dem Onlineportal Fashion United. „Rechnerisch haben wir alle 300 Meter einen Altkleidercontainer stehen“, so Fischer. Ein Bruchteil der gesammelten Alttextilien gelangt in deutsche Secondhand-Läden, rund 26 Prozent werden hierzulande recycelt. Der weitaus größere Anteil gebrauchter Kleider und Schuhe wird ins Ausland exportiert – vornehmlich nach Osteuropa, Asien und Afrika. 2022 waren das nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 462.000 Tonnen Alttextilien. Der unbrauchbare Rest geht in die Abfallverbrennung. So das System bisher.
Durch den Fast Fashion-Trend hat sich die Lage auf dem Altkleider-Markt in den vergangenen Jahren bereits sehr verändert: Kleidung ist günstig und hält oftmals nur eine Saison – es wird somit mehr gekauft und weggeworfen. Dadurch habe sich die Menge der Textilien verdreifacht, gleichzeitig sei deren Qualität gesunken, so der Geschäftsführer des Branchenverbands FairWertung e. V., Thomas Ahlmann, gegenüber dem MDR. Sortierer und Sammler von Alttextilien finden oftmals nur noch wenig Tragbares in den Altkleidercontainern. Fabrikneue Billigmode werde außerdem zunehmend in Ländern angeboten, die bislang gern Secondhand-Ware genommen hätten, sagte bvse-Sprecher Thomas Fischer. Das sei „ein Riesenproblem“.
Forderungsausfälle von ausländischen Märkten
Auch der osteuropäische Markt sei durch den russischen Angriffskrieg nahezu kollabiert, schreibt der bvse in seinem Appell. Second Hand-Ware in Deutschland wird damit zum Ladenhüter. Problematisch für viele Textilsammler und -sortierer seien außerdem auch Forderungsausfälle von ausländischen Märkten. Diese würden mittlerweile 30 Prozent überschreiten, während sich die Außenstände verdoppelt hätten und die Zahlungsziele bei durchschnittlich 120 Tagen lägen, so der Verband. Die Einführung der Mautgebühren für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen seit Juli 2024 hätte zu zusätzlichen Kostenbelastungen geführt.
Mit der Einführung der Pflicht zur flächendeckenden Getrenntsammlung von Alttextilien ab dem 1. Januar 2025 könnte die ohnehin schon angespannte Situation eskalieren, so der bvse. „Das System finanziert sich über gut erhaltene und tragbare Kleidung. Wenn nun ab 2025 vermehrt kontaminierte, also verschmutzte oder nasse Kleidung aus Restmüllbehältern in die Altkleidercontainer kommen würde, wäre es noch schwieriger, dieses kostenlose System aufrechtzuerhalten“, so Fischer.
Absatzkrise für Secondhand-Kleidung auch durch Ukraine-Krieg
Sollte das bestehende System zusammenbrechen, sei eine Wiederherstellung praktisch unmöglich, befürchtet der Branchenverband. Die Folgen für die Entsorgungs- und Verwertungsinfrastruktur wären „katastrophal“. Mit der Textilverwertungsgesellschaft Soex in Bitterfeld-Wolfen, Sachsen-Anhalt ist bereits der erste große Betrieb in diesem Bereich insolvent. Aktuell läuft ein entsprechendes Verfahren, und es wird nach einem neuen Investor gesucht. Für die rund 300 Beschäftigten geht es jedoch erstmal normal weiter. Wie der MDR schreibt, erwirtschaftete die Unternehmensgruppe in den vergangenen Jahren rund 60 Millionen Euro. Unter anderem durch vermehrte Konkurrenz aus Asien sei der Betrieb jedoch in finanzielle Engpässe geraten, sagte Soex-Geschäftsführer Fred Ponath.
Von einer „weltweiten Absatzkrise“ spricht auch die Kolping Recycling GmbH aus Fulda, welche in Hessen regelmäßig um die 400 Altkleidercontainer leert. Geschäftsführer Stephan Kowoll sagte in der Tagesschau, früher habe man solche Ware vor allem nach Osteuropa und Russland verkauft. Da sei die Nachfrage jedoch gesunken und auch der Ukraine-Krieg verhindere einen Verkauf der Kleidung dorthin. Dem Textilsammler Texaid macht vor allem die minderwertige Qualität vieler Altkleider zu schaffen. Kleidung sei zunehmend aus Polyester und anderen Kunstfasern, die nach ein paar Mal Tragen kaum noch zu gebrauchen sei.
Das Unternehmen bittet daher Verbraucherinnen und Verbraucher, bereits beim Kauf zu hochwertigerer Mode zu greifen. Zugleich appelliert Texaid in einer Stellungnahme an die Modebranche, die Qualität ihrer Ware zu steigern und deren Recyclingfähigkeit zu verbessern.
Kommunen sollen auf Stellplatzgebühren verzichten
Um dem drohenden Kollaps des Altkleidersammelsystems entgegenzutreten, wendet sich der bvse in seinem Appell an Akteurinnen und Akteure vor Ort. Kommunale, gewerbliche und private Stellplatzgeber sollten darauf verzichten, Gebühren für die Aufstellung von Altkleidercontainern zu erheben. Auch Thomas Ahlmann von FairWertung denkt, dass es Sammlern und Sortierern kurzfristig helfen könnte, ihre Container kostenfrei aufstellen zu dürfen. Gegenüber dem MDR sagte er aber: „Langfristig brauchen wir eine erweiterte Produktverantwortung für Textilien.“ Produzenten und Marken müssten für Sammlung, Sortierung und Recycling von Textilien am Ende ihrer Lebensdauer mitbezahlen. Die EU-Textilstrategie, die ab Januar 2025 für alle EU-Mitgliedsländer wirksam wird, markiert hier einen entscheidenden Schritt hin zu einer nachhaltigeren Textilindustrie.