Herr Dr. Rottmann, seit 2009 sind Sie geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) in Leipzig. Außerdem leiten Sie das Kompetenzzentrum Kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) der Universität Leipzig. Sie beschäftigen sich somit bereits seit vielen Jahren mit öffentlicher Daseinsvorsorge. Was macht dieses Thema so interessant für Sie?
Erstens gestaltet sich das Thema Daseinsvorsorge immer wieder neu, denn gerade in der öffentlichen Infrastruktur passiert eine ganze Menge. Als Finanzwissenschaftler beschäftigen mich vor allem öffentliche Finanzen. Diese sind bekanntermaßen häufig angespannt, daher müssen Lösungen gefunden werden, die auch die fiskalische Dimension einbeziehen. Zudem betrifft die Daseinsvorsorge verschiedene Ebenen, zuallererst natürlich die Kommune vor Ort, wo öffentliche Leistungen direkt dem Bürger zugute kommen. Aber auch in der Gesetzgebung spielt das eine große Rolle – von Länder-, Bundes- bis zur EU-Ebene.
Zu guter Letzt beschäftigen auch die ganz aktuellen Themen wie Nachhaltigkeit, Ökologie und Digitalisierung den öffentlichen Sektor und verlangen durchdachte Lösungen. Öffentliche Daseinsvorsorge ist einfach sehr spannend und bürgernah. Wenn wir im Kompetenzzentrum tätig werden, geht es da zumeist um Themen, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Menschen haben, die es betrifft.
Im KOWID arbeiten Akteure aus Wissenschaft und Praxis eng zusammen. Wie genau sieht diese Zusammenarbeit aus?
Das Kompetenzzentrum ist aus der Universität Leipzig heraus entstanden und arbeitet als eigenständige Einheit mit dem Fokus auf angewandte Wissenschaft und Beratung. Unser Kernteam besteht aus einer Handvoll Mitarbeitern, die Projekte kontinuierlich abarbeiten. Unterstützt werden wir dabei von momentan 18 wissenschaftlichen Instituten oder Professuren aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Da ist zum Beispiel ein Lehrstuhl für öffentliches Recht, ein Institut für Gesundheitssystemforschung, ein Lehrstuhl für Public Management, ein größeres Institut für Infrastrukturökonomie.
Zusätzlich haben wir noch einen Praxisbeirat als öffentlich-privaten Impulsgeber. Hier sitzen dann meistens Unternehmen – öffentliche oder private –, Verbände, Banken und Beratungsinstitutionen. Diese geben thematische Anregungen aus der Praxis ins Zentrum, aber eben keine Weisung. Es ist uns wichtig, dass wir da neutral sind. Bei unserer Arbeit können wir auf die Expertise eines großen Netzwerks von mehr als 100 Akteuren zurückgreifen.
Was genau macht das Kompetenzzentrum und wie wird dessen Arbeit finanziert?
Klassischerweise machen wir sehr viele Praxisstudien und erstellen Gutachten. Da KOWID als bundesweites, auch europäisches Zentrum über Drittmittel finanziert wird, bewerben wir uns häufig auf Ausschreibungen und größere Verbundprojekte, z. B. das Bundesprojekt Zukunftswerkstatt Lausitz oder MORO Lebendige Regionen.
Wir machen auch eigene Veranstaltungen, wie die Tagung „Zukunft der Infrastrukturentwicklung“ gemeinsam mit dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) und privaten Institutionen. Ebenso sind wir Partner der Mitteldeutschen Energiegespräche und des Ostdeutschen Energieforums.
Eine weitere Säule ist unser Weiterbildungsangebot. Zudem haben wir noch einen Masterstudiengang Public Service Management an der Universität Leipzig – einen Hybrid-Master aus Praxis und Wissenschaft mit Anbindung an europäische und deutsche Institutionen.
In einer gerade anlaufenden Studie beschäftigen Sie sich mit partnerschaftlicher Infrastrukturentwicklung und Smart City. Was ist das zentrale Anliegen dieser Studie?
In der Studie befragen wir alle deutschen Kommunen ab 20.000 Einwohner und alle Landkreise. Unterstützt werden wir dabei vom Städte- und Gemeindebund und einer Gruppe von Unternehmen. Damit wollen wir empirisch Daten aus den Kommunen erheben und Ableitungen treffen, wo es in Sachen smarter Infrastrukturentwicklung in Deutschland hingehen sollte. Denn Kommunen stehen vor enormen Herausforderungen, auch finanziellen. Es sind also Wege angezeigt, diese Infrastrukturlücke zu schließen.
Themen sind auch die Energie-Mobilitäts-Wende und die Digitalisierung. Da brauchen wir Lösungen und Ansätze. Wo liegen besondere Herausforderungen in der smarten Infrastrukturentwicklung und welche Rolle können Kooperationen spielen? Das können natürlich interkommunale, aber auch öffentlich-private Kooperationen sein. Mit der Studie möchten wir Kommunen Impulse geben, um eigene Wege zu finden.
Was sind nach Ihren bisherigen Erkenntnissen die größten Schwierigkeiten, die Städte und Gemeinden gegenwärtig bewältigen müssen?
Eines liegt über allem, das sind die Finanzen. Kommunen haben eine relativ geringe eigene Einnahmehoheit. Deswegen hängen sie auch oft am Tropf – Stichwort: Finanzausgleich. Natürlich gibt es auch Kommunen mit hohem Gewerbesteueraufkommen und auch reiche Kommunen. Aber das ist nicht die Regel. Auch die Sozialkosten sind in vielen Kommunen sehr hoch.
Konkret mit Blick auf die Daseinsvorsorge ist natürlich die Umsetzung der ökologischen Themen, wie die Energiewende, herausfordernd. Hierfür braucht es Know-how, Finanzen, Personal, Konzepte, Kooperationspartner. Und jetzt wird auch noch alles digital, aber die Verwaltungen hinken hinterher, der Breitbandausbau funktioniert noch nicht flächendeckend. Gerade im ländlichen Raum funktioniert hier vieles noch nicht, was aber auch für den Standort wichtig wäre, wenn es beispielsweise um Unternehmensansiedlung oder die Lebensqualität der Bürger geht. Das sind alles Aufgaben, die kostspielig und relativ schwierig umzusetzen sind.
Wie können Kommunen mit all diesen Herausforderungen umgehen? Sicherlich gibt es hier kein Modell, was für alle passt. Hier muss wahrscheinlich jede Kommune relativ individuell planen.
Dem würde ich zustimmen. Ein Punkt wäre jedoch vor allem auf Bundesebene wichtig: Die Finanzausstattung der Kommunen müsste neu geregelt werden. Wir haben eine Finanzverteilung, die im Großen und Ganzen auf der Finanzreform von 1969 beruht. Es gab in den vergangenen Jahren viele Unterstützungsleistungen, z. B. während der Flüchtlingskrise, für Kitaausbau etc. Trotzdem haben die Kommunen über die Zeit viele Aufgaben übernommen, für die es keine gleichmäßige Entschädigung oder Kofinanzierung gibt. Förderprogramme sind nett, aber sie lösen das Problem strukturell – und häufig auch prozessual – nicht. Wir brauchen ein solide kommunale Finanzausstattung.
Wo soll das Geld für diesen neuen Finanzhaushaltsplan herkommen?
Da müsste die Steuerverteilung überdacht werden. Im Moment ist es doch so: Der Bund gibt Geld an die Länder, die Länder an die Kommunen; die Kommunen finanzieren es vor, holen sich ihr Geld wieder von den Ländern, die Länder holen sich Geld vom Bund. Diese Prozesse sind relativ ineffizient. Besser wäre doch eine klarere Aufteilung der Steuern: das bekommt der Bund, das bekommen die Länder und das sind die Kommunalanteile. Das müsste natürlich so ausgestaltet werden, dass die Kommunen eine Finanzausstattung haben, mit der sie zumindest grundsätzlich gut klarkommen.
Ansonsten sind es Einzelentscheidungen, für die es vor allem eine kommunale Zielstruktur braucht. Die eine Stadt will ihre Verkehrssituation verbessern, die andere will die Wohnungssituation verbessern, die eine will smart werden, die andere bunt, die andere will eine Kulturstadt werden – das ist immer anders. In der Umsetzung gibt es natürlich auch wieder Ansätze. Hier könnte man beispielsweise mehr auf Kooperationen setzen.
Damit leiten Sie gleich zur nächsten Frage über: Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) sind derzeit ein Thema. Was macht sie für Kommunen interessant?
Wenn man eine ÖPP klug und partnerschaftlich umsetzt, kann man eine ganze Menge bewirken. So eine Kooperation ist eine Möglichkeit, privates Know-how und Effizienzpotential zu nutzen, Prozesse zu vereinfachen und damit auch ein besseres Ergebnis zu bekommen. Allerdings müsste man sich da von der Ideologie verabschieden, öffentlich erstellt ist per se gut, privat schlecht. Solche Denkstrukturen helfen nicht. Klar ist: Es muss eine Zielkongruenz geben, d. h. die beiden Partner müssen in eine Richtung gehen, dies lässt sich vertraglich regeln. Hier ist die Frage zu klären, wer hat letztlich das Eigentum. Meistens bleibt es in kommunaler Hand – was auch vielen Bürgern in der Daseinsvorsorge wichtig ist – und die Durchführung erfolgt über den privaten Partner.
ÖPP sollten aber nicht als reines Finanzierungsmodell betrachtet werden. Wenn sich die Kommune ein Projekt nicht leisten kann, sollte sie es auch nicht zwangsläufig auslagern. Bei ÖPP geht es um Effizienz: Prozesseffizienz, Termintreue, Know-how.
Gibt es da Bereiche, wo Sie die Vorteile einer ÖPP eher sehen als in anderen?
Da, wo es sehr spezifisch wird, zum Beispiel bei der Restaurierung eines alten Denkmals, also ein großes, komplexes Projekt, muss man schon genau hingucken, was sich wie rechnet. Was sich häufig nicht gerechnet hat in den letzten Jahren, sind ÖPP zur Finanzierung von Spaßbädern. Das ist ein typisches Beispiel. Aber gängige, teilstandardisierte Infrastrukturen wie Schul- und Kitabau im Vertrags-ÖPP-Bereich – da kann man sehr viel Effizienzpotential heben. Auch in der Umsetzung von smarten Strukturen oder in den Daseinsvorsorgebereichen wie Energie, Mobilität und Kreislaufwirtschaft kann privates Know-how nützlich sein. Auch andere Modelle können zielführend sein: So können Kommunen über Mietmodelle mit privaten Infrastrukturunternehmen – bspw. im Schul- oder Kitabereich – Effizienzpotenziale heben, z.B. dann, wenn aus demografischer Bedarfsperspektive die Schule oder Kita nur maximal 20 Jahre benötigt wird. Da muss die Kommune nicht zwangsläufig selbst teuer erstellen, auch die spätere Umwidmung kann der private Partner einfacher realisieren.
Woher kommt Ihrer Meinung nach das schlechte Image der Privatwirtschaft?
Obwohl wir in Deutschland in einer sozialen Marktwirtschaft leben, sind marktwirtschaftliche Instrumente immer noch nicht so richtig angekommen. Das finde ich schade. Es ist auch eine ideologische Diskussion: Staat versus Markt. Da verliert in der Diskussion zumeist der Markt. Eine befremdliche Diskussion mit Blick auf jene Wirtschaftsordnung, die dieses Land erfolgreich geprägt hat.
Das zweite ist: Als die ÖPP losgingen, in den 2000ern, waren viele einfach schlecht konzipiert und zu stark als Finanzierungsvarianten betrachtet. Das betrifft weniger die Stadtwerke mit einem privaten Infrastrukturdienstleister, sondern mehr jene „politischen“ Projekte wie die bereits erwähnten Spaßbäder. Es gab einige Bereiche, die haben einfach nicht funktioniert. Da hat der Private zu hohe Gewinne gemacht und die öffentliche Hand musste noch draufzahlen.
Aber den Ansatz, privates Know-how für eine effizientere Leistungserbringung einzubeziehen und staatliche Stellen auch prozessual zu entlasten – Stichwort: Personalmangel in den Verwaltungen –, halte ich erstmal prinzipiell für richtig. Gleichwohl sind auch Kommunalkonzerne heutzutage durchaus gut aufgestellt. Das ganze Argument, die Privaten machen Gewinn und die öffentliche Hand ist gemeinwohlorientiert, ist in meinen Augen zu kurz gegriffen. Erstens ist es kein Verbrechen, sondern systemimmanent, Gewinn zu machen. Zweitens gewinnt auch die öffentliche Hand. Die meisten Städte – wie bspw. Frankfurt am Main – sind sehr zufrieden mit ihrer ÖPP. Und es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele. Man muss eben immer im Einzelfall schauen: Passen die Partner zusammen? Passt das Modell? Passt der Ansatz?
Was sind Vorzeigekommunen, die Sie beobachtet haben oder begleiten?
Hamburg ist ziemlich weit, was Smart City angeht, Köln auch. Als sehr wohlhabende Stadt macht München viel für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Wir sind auch intensiv mit Wien, also zumindest mit den dort beteiligten Verbänden, verbunden. Die Stadt Wien hat ihre Smart City sehr stark am Verkehr ausgerichtet, sieht sich selbst als „Stadt der kurzen Wege“ und hat auch ein 365-Euro-Ticket eingeführt. Das ist ein Modell, was sich nicht einfach so rechnen lässt, funktioniert dort unter den gegeben Ansätzen aber sehr gut.
Wie könnte denn so eine Modellkommune für Sie aussehen?
Mit Visionen halte ich es ein bisschen wie Helmut Schmidt (lacht). Aber es gibt schon Wege, die gegangen werden müssen oder sich gar nicht anders lösen lassen. Also einmal das ganze Thema Klimaschutz. Da werden die Städte vor Ort Kraftanstrengungen wahrnehmen müssen, gerade im Bereich Verkehr. Ich finde beispielsweise den Ansatz gut, dass jeder Bürger ein Smartphone hat, mit dem er seine Mobilität einfach planen kann, egal ob er ein Fahrrad, Auto oder den ÖPNV nutzt. Da sind einige Städte schon ziemlich weit, aber im Großen und Ganzen ist da noch sehr viel Luft nach oben.
Im ländlichen Raum geht es darum, überhaupt Infrastruktur zu erhalten. Im städtischen Raum geht es häufig um das – wenngleich teure und komplexe – „Luxusproblem“, wachsende Strukturen zu managen.
Dann stelle ich mir eine energieeffiziente oder energieautarke Stadt vor, in der sich die Leute wohlfühlen, die sauber ist, mit einer gut nutzbaren Infrastruktur. Das ist sicher etwas blauäugig. Da muss man auf vielen Ebenen zeitgleich rangehen, um was zu erreichen. Die Smart City der Zukunft, die ist nicht ganz so einfach umzusetzen.
Was würden Sie sich von den kommunalen Entscheidern wünschen?
Das Gelingen von Projekten oder Vorhaben beginnt mit einer Zielstruktur. Das ist natürlich schwer, weil eine Kommune im Stadtrat heterogen besetzt ist und hier nicht selten Ideologien vor Umsetzungsoptionen stehen. Aber man muss versuchen, ein gemeinsames Ziel zu formulieren und sich dann auch auf den Weg machen – möglichst ideologiefrei. Nehmen wir das Thema Smart City. Jeder hat eine Vorstellung, keiner hat eine richtige. Smart City ist eine Verwaltung, die schlau ist, Smart City ist Kopplung von Familie und Beruf, Smart City ist infrastrukturelle Sektorkopplung; das alles ist Smart City. Wenn man also Smart-City-Stadt werden will oder sich dahingehend infrastrukturell verbessern will, muss man die Bürger mitnehmen, so abgedroschen es auch klingt. Man muss mit Maßnahmen anfangen, die schnell eine gewisse Akzeptanz erreichen, die schnell sichtbar werden. Da muss eine Kommune ran.
Vielen Dank für das Gespräch!