Lieber Herr Thews, seit 2013 sind Sie Abgeordneter für den Deutschen Bundestag. Was sind Ihre Aufgaben und haben Sie ein Lieblingsthema?
Als Abgeordneter im Bundestag und Mitglied im Umweltausschuss beschäftige ich mich von Anfang an mit den Themen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit. Kreislaufwirtschaft ist gelebte Nachhaltigkeit und wirklich eines meiner Lieblingsthemen. Ich komme auch aus diesem Bereich. Als gelernter Chemiker habe ich zunächst in der Klärschlammverwertung gearbeitet. Insofern ist Kreislaufwirtschaft schon lange Zeit mein Thema, schon länger als ich Abgeordneter bin.
Ich war auch schon Berichterstatter für den Haushalt im Umweltausschuss und seit dieser Legislaturperiode bin ich selbst Haushälter – insbesondere für den Haushalt des Umweltministeriums. Das ist insofern unheimlich spannend, weil ich in dieser Funktion Dinge direkt gestalten kann. Es gibt aktuell zum Beispiel ein Projekt, das wir Haushälter auf den Weg gebracht haben. Hier geht es darum, Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee zu bergen.
Recyclinglabel schafft Transparenz
Als Mitglied im „Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“ beschäftigen Sie sich u. a. mit den Fragen: Was können wir gegen die Plastikflut tun? Wie können wir effizienter mit Ressourcen umgehen? Wie können wir Abfälle vermeiden? Muss man hier noch stärker an das Umweltbewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher appellieren?
Man könnte natürlich sagen, dass erst mal die Verbraucher und Verbraucherinnen verantwortlich sind. Denn die sind es, die einkaufen, Konsumartikel zu Hause haben, sie nach dem Gebrauch sortieren und entsorgen. Wir sehen das aber anders. Wir sagen: Die Herstellerinnen und Hersteller haben eine Verantwortung für das, was sie in den Markt bringen und was wir am Ende dann auch kaufen. Über das Einwegkunststofffondsgesetz (EWKFondsG), das im Januar in Kraft getreten ist, nehmen wir diese nun noch stärker in die Pflicht. Sie müssen für die Sammlung und Entsorgung ihrer Produkte zahlen.
Zigarettenhersteller stellen zum Beispiel einen Filter her, der Kunststoffe enthält und sich nicht einfach so in der Umwelt zersetzt, wie viele glauben. So ein Filter bleibt über Wochen oder Monate liegen und verunreinigt das Grundwasser. Man muss ganz ehrlich sagen, dass die Zigarettenindustrie da etwas besseres entwickeln hätte können. Hat sie aber nicht und jetzt zahlen wir dafür. Denn diese herumliegenden Filter sind immer noch eines der größten Probleme in den Kommunen. Sie müssen mühsam wieder eingesammelt werden.
Indem wir die Hersteller dazu verpflichten, Geld für die Entsorgung z. B. von Filtern zu entrichten, entlasten wir Kommunen. Die Hersteller spüren auch, dass ihre Produkte teurer werden und andere schon Alternativen z. B. in Form von Mehrwegsystemen oder plastikfreien Produkten anbieten. Im Vergleich werden Konkurrenzprodukte dann günstiger und Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich gegebenenfalls für die Alternative. Denn das Bewusstsein hierfür ist bei den Deutschen extrem hoch, wie Umfragen zeigen. Es wissen nur nicht immer alle, wie sie handeln sollen, weil diese umweltschädlichen Sachen immer wieder in den Markt kommen und man sie nicht so ohne weiteres erkennen kann.
Was braucht es hier, um mehr Transparenz zu schaffen?
Wir brauchen ein Recyclinglabel, das uns sagt: Ist das Produkt nachhaltig, aus wie viel Prozent Rezyklaten besteht es beispielsweise? Das ist nicht nur interessant für Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch Mitarbeitende, die für den Einkauf im öffentlich-rechtlichen Bereich zuständig sind, wollen wissen, ob ein Produkt nachhaltig ist. Das sind immerhin Milliarden, die hier ausgegeben werden. Vielen Produkten, die auf den Markt kommen, sieht man aber auch gleich an, dass sie schädlich sind. Nehmen wir z. B. diese Einmal-Zigaretten, diese E-Vapes. Die stellen eine hohe Gefahr dar, weil sie Lithium-Ionen-Akkus enthalten. So was wird einfach in den Markt gedrückt. Da gibt es kein Recyclingkonzept, keinen Pfand, nichts.
Da helfen keine guten Worte oder lenkenden Maßnahmen mehr. Hier brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen und auch Verbote. Ohne das hat es noch nie funktioniert in der Kreislaufwirtschaft. Ich bin zum Beispiel auch der Meinung, dass wir mit einer ökologisierten Lizenzabgabe, die im Verpackungsgesetz weiterentwickelt wird, viele Dinge erschlagen könnten. Das ist ganz wichtig, denn sonst werden wir die Probleme, die wir haben, nicht lösen. Und wir reden hier wirklich über globale Probleme. Deutschland könnte nicht nur Vorreiter sein, sondern ist weltweit auch das Land mit dem größten Know-how im Kreislaufwirtschaftsbereich.
Zunehmende Verschmutzung belastet Kommunen
Wie ist Ihr Wahlkreis in puncto Kreislaufwirtschaft aufgestellt? Was wird von dort an Sie herangetragen?
In meinem Wahlkreis gibt es beispielsweise die Wertstofftonne. Die gibt es noch gar nicht in ganz Deutschland, weil einige Bundesländer immer noch eigene Wege gehen. Aus meiner Sicht müsste die Wertstofftonne aber flächendeckend eingeführt werden. Denn mit der gelben Tonne haben wir immer wieder Abstimmungsprobleme – was darf rein, was nicht? Bestes Beispiel: Barbiepuppe. Die Verpackung der Barbie darf rein und die Puppe selbst, wenn sie mal kaputt ist, nicht, obwohl sie vielleicht aus demselben Material besteht wie die Verpackung. Das ergibt keinen Sinn. Das verstehen die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht.
Durch das Verpackungsgesetz kann die Wertstofftonne nun leichter durchgesetzt werden. Das entlastet Politikerinnen und Politiker, aber auch die Ratsherren und Ratsfrauen, die jeden Tag diese Sisyphusarbeit für die Kommunen machen. Kommunen in meinem Wahlkreis werden auch vom Einwegkunststofffondsgesetz profitieren und finanziell dadurch entlastet werden. Das kommt genau richtig, denn die Städte und Gemeinden in meinem Umfeld sind alle verschuldet.
Wo haben Ihre Kommunen hier die größten Probleme?
Alle Kommunen haben uns berichtet – und damit meine ich nicht nur meinen Wahlkreis –, dass die zunehmende Verschmutzung von städtischen Bereichen, Autobahnabfahrten, Parks etc. Probleme macht. Hier muss erhebliches Geld für die Beseitigung von Abfällen aufgewendet werden. Das liegt sicherlich manchmal am mangelnden Bewusstsein vor Ort. Um das zu stärken, geben wir auch Geld aus. Aber hauptsächlich ist der Grund dafür, dass wir einfach eine Wegwerfgesellschaft geworden sind. Coffee to go, Essen to go – das findet alles auf unseren Wegen statt. Vor allem aus der Systemgastronomie landen sehr viele Abfälle da, wo wir sie nicht haben wollen.
Hier habe ich mit McDonald’s, Burger King und Co. immer wieder gesprochen und die sind sich des Problems durchaus bewusst. McDonald’s hatte sogar die Idee, im 300-Meter-Umkreis um den Laden Tonnen aufzustellen. Bis heute sehe ich diese Tonnen nicht. Die tun da erst mal gar nichts. Gehen Sie mal in eine McDonald’s-Filiale und versuchen Sie da, ein Mehrwegsystem zu bekommen. Die bieten sie nicht an, die sind nicht attraktiv, die werden nicht beworben. Das wird auch unterlaufen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen in den Supermarkt und Ihnen wird heute noch eine Plastiktüte angeboten. Das geschieht leider auch immer noch.
Seit Januar 2022 sind Plastiktüten, die dünner als 50 Mikrometer sind, im Kassenbereich von Supermärkten verboten…
So eine Tüte, da brauche ich nur einmal mit dem Finger durchzudrücken: kaputt. Da benötige ich nicht viel Kraft. Diese Tüte verkauft Edeka und sagt, sie ist gesetzeskonform. Ich sage: Ist sie nicht. Der Norddeutsche Rundfunk hat in einem Test mit Laboruntersuchungen festgestellt, dass fast alle dieser Tüten die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen. Die sind einfach illegal. Um das zu ahnden, müsste in diesem Fall das Land Nordrhein-Westfalen ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Euro an die Hauptgeschäftsstelle von Edeka schicken. Dafür sind die Länder zuständig. Aber die setzen die Gesetzgebung in diesem Bereich nicht um.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Liegt es am Personalmangel?
Das ist eine beliebte Ausrede. Manchmal stimmt sie auch – das will ich gar nicht kleinreden. Aber ich sag mal so: Früher ging das auch. Ich mache das jetzt schon seit 30 Jahren und habe durchaus größere Razzien in dem Bereich erlebt. Da gab es z. B. im Ruhrgebiet einen Kohlenhändler, der hat Kohle verkauft, die war mit Sondermüll durchtränkt. Dieser ist damit aufgeflogen. Etwa 100 Polizisten sind an einem Tag in etliche Unternehmen ausgeschwärmt und haben Unterlagen oder auch Leute mitgenommen, die hieran beteiligt waren und dann Prozesse angefangen. Dieser Kohlenhändler hat uns letzten Endes vergiftet. So was muss geahndet werden.
Wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?
In den letzten Jahren gab es immer wieder illegale Abfalltransporte ins Ausland – nach Malaysia, nach Polen, nach Tschechien. Das ist definitiv illegal, was da passiert ist. Aber was haben wir dagegen getan? Das nachzuvollziehen und zu sanktionieren ist Aufgabe von Bund und Ländern und eigentlich auch gar nicht so schwer. Behörden können Bilanzen von Unternehmen einfordern und sehen dann ganz genau, wie viel Abfall, wo hingegangen ist. Wenn plötzlich mal Tausende von Tonnen fehlen, dann können sie aber unangenehme Fragen stellen. Hier wird viel zu wenig gemacht. Ich appelliere deshalb an alle, solche Sachen ernst zu nehmen. Denn so etwas zerstört all unsere anderen Bemühungen, nachhaltiger zu arbeiten.
Digitaler Produktpass fördert Kreislaufwirtschaft
Um besser nachvollziehen zu können, wie nachhaltig ein Produkt ist, plant die Bundesregierung die Einführung eines digitalen Produktpasses. Wie genau trägt der zur Kreislaufwirtschaft bei?
Insbesondere wird hier eine Informationslücke zwischen Herstellern und Recyclern geschlossen. Die Hersteller bringen solche Produkte wie E-Vapes auf den Markt und Recycler finden das dann im Abfall vor und fragen sich: Was sollen wir jetzt damit machen? Da steht ein Totenkopf drauf. Mittlerweile gibt es Initiativen, ausgehend entweder von Produzenten oder Recyclern, um sich hier auszutauschen. Das ist sehr löblich! Länder wie China aber beispielsweise entwickeln und vertreiben Produkte wie E-Vapes und es ist dort egal, was wir in Deutschland damit machen. Das darf eigentlich nicht mehr sein. Deswegen brauchen wir den digitalen Produktpass, der über die Zusammensetzung von Produkten informiert. Das kann dann natürlich auch die Kaufentscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher beeinflussen und auch die des Handels.
Die Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) in Deutschland hat viel dazu beigetragen, dass wir z. B. wissen, wie sich Verpackungen zusammensetzen. Hierfür hat die ZSVR ein Formblatt entwickelt, auf dem oben rechts eine Zahl steht, die aussagt, zu wie viel Prozent die Verpackung recycelbar ist. Da gibt es Verpackungen, die sind zu 40 % recycelbar. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: 60 % sind es nicht. Da müsste irgendwann die Ökodesignverordnung überlegen, ob sie hier greift. Vorher müssen solche Informationen zur Produktzusammensetzung aber erst mal zusammenkommen und da spielt der Produktpass eine große Rolle. Kreislaufwirtschaft hängt ganz viel am Hersteller bzw. an der Produktkonzeption. Die Abfallwirtschaft kümmert sich ganz am Ende um das, was dort ankommt.
Wie können Kommunen ihren Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten?
Kommunen können erst mal grundsätzlich in der Beschaffung darauf achten, dass sie nachhaltige Produkte kaufen. In kommunalen Satzungen und Landesumweltgesetzen steht schon häufig drin, dass z. B. bei größeren Autobahnbauprojekten oder beim Bau von Landstraßen nachhaltige Materialien verwendet werden sollen. Es gibt Kommunen, die machen das heute schon super. Es gibt aber auch Kommunen, die sagen, wir können das nicht machen, weil wir keine Leute haben. Interessanterweise haben wir festgestellt, dass teilweise kleine Kommunen mit wenig Personal absolut vorbildlich sind.
Sie brauchen in der Kommune nur jemanden, der das mal ins Auge fasst und sich damit beschäftigt. Da können die Kommunen schon einiges leisten. Es wäre ein Riesenschritt in die richtige Richtung, wenn nachhaltige Beschaffung tatsächlich richtig durchgeführt wird. Wir helfen dabei, den Weg freizumachen und auch, dass vieles einfacher wird.
Vielen Dank für das Gespräch!