Sehr geehrter Herr Spohn, über 80 thermische Abfallbehandlungsanlagen (TAB) mit rund 92 % der bundesdeutschen Behandlungskapazität sind Mitglied der ITAD. Welche Aufgaben übernimmt der Verband genau?
Als Interessenvertreter des überwiegenden Teils der Siedlungsabfallverbrennungsanlagen in Deutschland sowie einer Vielzahl von EBS-Kraftwerken informieren wir unsere Mitglieder über aktuelle Gesetzgebungsverfahren und vertreten diese gegenüber der Bundesregierung und auch in Europa innerhalb der Dachverbände gegenüber der Europäischen Kommission, z. B. bei den Themen Klimaschutz und Emissionshandel.
Neben der umfassenden Mitgliederarbeit haben wir uns auch das Ziel gesetzt, über Politik, Presse und Öffentlichkeit Vorteile des Verfahrens zu kommunizieren. Die thermische Abfallbehandlung ist Grundpfeiler einer modernen Kreislaufwirtschaft und kann vor dem Hintergrund von Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu einem effizienten Umgang mit Ressourcen beitragen. Auf europäischer Ebene ist vor allem Deponieausstieg ein Thema für uns.
Müllverbrennung ist Bestandteil der Zero-Waste-Vision
Die Müllverbrennung hat vor dem Hintergrund des Klimaschutzes einen schlechten Ruf. Vielerorts gibt es Bemühungen, Zero-Waste-Vorhaben zu realisieren. Wo findet die thermische Abfallbehandlung da ihren Platz?
Die klassischen Zero-Waste-Konzepte basieren auf der Vision, dass wir keinen Abfall mehr haben. Das ist nicht realistisch. Wir werden immer auch Abfälle haben, die wir nicht stofflich verwerten können. Ich finde die DIN SPEC 91436 spiegelt dies sehr gut wider, denn hier wird die energetische Verwertung von Abfällen als elementarer Bestandteil der Zero-Waste-Vision und somit auch der Kreislaufwirtschaft betrachtet.
In der politisch-ideologischen Diskussion wird die Verbrennung aber als Teil der nachhaltigen Abfallwirtschaft abgelehnt und entsprechende Ziele formuliert im Stil von: Bis 2050 dürfen nicht mehr als 10 oder 5 % der Abfälle in die Verbrennungsanlage gehen. Aber selbst von einer stofflichen Verwertungsquote von 80 % sind wir heute für gemischten Siedlungsabfall noch sehr sehr weit entfernt. Da stellt sich mir die Frage, wie sachgerecht und erfüllbar solche Konzepte sind bzw. wie man ohne Senken für stofflich nicht verwertbare Abfälle oder Sortierreste auskommen will. Der Rückschritt zur Deponierung kann hier ja offensichtlich nicht die Lösung sein.
Gibt es Orte, an denen Zero Waste und Müllverbrennung zusammen funktionieren?
Ein wirklich positives Beispiel ist die Stadt Kopenhagen: Hier ist die erst kürzlich in Betrieb genommene Müllverbrennungsanlage, die dem neuesten Stand der Technik entspricht, Teil des Zero-Waste-Konzepts – und zwar ohne Beschränkungen. Da heißt es: Wir wollen uns bis 2050 für den Teil der Abfälle, die energetisch verwertet werden müssen, auf das notwendige Minimum reduzieren. Das ist eine Aussage, mit der ich mitgehen kann. Aber da war der Betreiber auch mit am Tisch, als über Zero Waste diskutiert wurde.
Das ist bei Zero-Waste-Initiativen in einigen deutschen Städten, soweit ich weiss, nicht der Fall. Da will man Betreiber der thermischen Abfallverbrennung nicht mit dabei haben – was ich aus meinem Demokratieverständnis heraus schon bedenklich finde. Ich würde mir hier eine sachgerechte Diskussion darüber wünschen, wie die Abfallwirtschaft 2050 aussehen und welche Finanzierungskonzepte es geben kann, auch wenn es am Ende keine einheitliche Meinung gibt.
Regionalpolitik braucht sachgerechte Strategien
Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, um so eine sachgerechte Diskussion zu führen?
Da ist sicherlich auch die Regionalpolitik gefordert. Diese müsste sowas sagen wie: Wir wollen nicht aus dem Elfenbeinturm heraus entstandene Konzepte umsetzen, die am Ende des Tages doch keiner einhalten kann, sondern ehrliche, sachgerechte Strategien mit erfüllbaren Zielen. Was nützt uns eine Recyclingquote von 50, 60 oder 70 %, wenn wir am Ende bei 43 landen?
Ist schon einmal eine Kommune auf Sie zugekommen, um Sie als Partner in die Entwicklung eines Zero-Waste-Konzepts einzubeziehen?
Auf uns kommt diesbezüglich eher selten jemand zu. Wir beraten hauptsächlich unsere Mitglieder und entsprechende Arbeitsgruppen, wie man BürgerInnen und Kommunen am besten kommuniziert: Wir sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Über die Müllverbrennung herrschen immer noch die gängigen Vorurteile: umweltverschmutzend, klimaschädigend, ressourcenvernichtend. Dabei wird gern vergessen, dass die thermische Abfallverwertung die größte Erneuerbare-Energien-Quelle im Bereich Wärmeversorgung ist.
Dänemark beispielsweise wollte im Rahmen seines Klimaplans die Verbrennungskapazitäten massiv einschränken. Da gab es dann sozusagen eine „Todesliste“ von Müllverbrennungsanlagen. Am Ende des Tages hat sich aber gezeigt: Das ist doch gar nicht so einfach, weil die Anlagen alle sehr gut ins Fernwärmenetz eingebunden sind. Wo kommt die Wärme dann her? Gas, Kohle, Kernkraft? Solar und Wind sind bei der Fernwärmeversorgung nur bedingt effizient bzw. geeignet. Das ist also durchaus schwierig. Ich bin gespannt, wie das in Dänemark weitergeht. Das Ziel, die Verbrennungskapazitäten zu reduzieren, ist zwar immer noch da, aber diese Liste von „Todeskandidaten“ ist wohl erst einmal wieder vom Tisch.
Geht da was auf europäischer Ebene?
Auf europäischer Ebene haben wir versucht, mit Zero Waste Europe (ZWE) sachgerecht zu diskutieren, allerdings wenig erfolgreich. Da sind die ideologischen Gräben extrem groß. Die großen weltweiten NGOs, die im Hintergrund mitmischen, kritisieren vollkommen zu Recht nicht funktionierende Abfallwirtschaft, aber auch Müllverbrennung in Dritte-Welt- oder Schwellenländern, machen aber leider keinen Unterschied zu einer effizienten Verbrennung, wie wir sie hier in Europa haben.
Sinnvolle Kooperationen in Konzepte einbeziehen
Da stehen Sie ja allein auf weiter Flur…
Erfreulicherweise gibt es hier in Deutschland z. B. den BDE (Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.). Dessen Präsident Peter Kurth und viele Verbandsmitglieder haben mittlerweile den Stellenwert der thermischen Abfallbehandlung erkannt, weil sie einfach gesehen haben: Wir schaffen das Ziel der effizienten Nutzung von Abfällen nur gemeinsam. Denn es können nicht alle Abfälle hochwertig recycelt werden.
Ein Beispiel aus dem Bereich der Sonderabfallentsorgung: In den Niederlanden gibt es praktisch keine Sonderabfallverbrennungsanlagen mehr. Der Sonderabfall wird exportiert oder, sofern hausmüllähnlich, in Hausmüllverbrennungsanlagen thermisch behandelt. Ein Land sollte aber gerade bei den gefährlichen Abfällen, genauso wie bei den Siedlungsabfällen, prinzipiell erstmal seine eigene Entsorgung sicherstellen können. Das muss in den Zero-Waste-Konzepten berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite sollten aber auch sinnvolle Kooperationen nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Denn letztlich geht es um eine möglichst effiziente Nutzung der Ressource Abfall und des zur Verfügung stehenden Anlagenparks. Dabei ist die thermische Abfallbehandlung immer Teil der Kreislaufwirtschaft, weil es ohne eben definitiv nicht geht.
Vielen Dank für das Gespräch!