Lieber Herr Tsalastras, seit 2003 sind Sie für die Stadt Oberhausen tätig, erst als Beigeordneter für Jugend, Gesundheit, Soziales und Sport. Seit 2010 sind Sie Kämmerer der Stadt und Beigeordneter für Kultur. Was gefällt Ihnen an der kommunalen Arbeit besonders gut?
Mir gefällt insbesondere, dass es eine sehr herausfordernde Tätigkeit ist, die nie langweilig wird. Wobei so ein bisschen Langeweile auch mal gut tun würde, aber das tritt hier in Oberhausen nicht ein. Aufgrund der prekären Finanzsituation ist es immer wieder spannend.
Worin liegen aktuell die größten Belastungen für die Stadtkasse?
Das sind nach wie vor und immer wieder die Soziallasten – insbesondere im Bereich Kinder,- Jugend- und Familienhilfe – die im Augenblick ein weiteres Mal besonders explodieren. Dabei spreche ich von Kosten, die wir übernehmen, weil das Land diese nicht ausreichend deckt, wie zum Beispiel für Kitaplätze und die Kindertagespflege – das müssen wir als Kommune mitfinanzieren. Außerdem sind das die Zinsen für die hohe Verschuldung, die wir haben. Die sind massiv angestiegen und haben zu einer zusätzlichen Belastung geführt. Hinzu kommen die Personalkosten, die jetzt und im Rahmen der letzten Tariferhöhungen sowie der jetzigen Beamtenbesoldung extrem gestiegen sind. Eine weitere Herausforderung für die Stadtkasse sind die steigende Eingliederungshilfe, die wir über die Landschaftsverband-Umlage bezahlen, sowie die Flüchtlingskosten.
Das klingt so, als ob Sie kaum Kapazitäten für andere Aufwendungen haben?
Das ist auch so. Im normalen Haushalt machen allein die drei Positionen Soziales, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie die Umlage für den Landschaftsverband 50 Prozent der Kosten aus. Da kann man sich ungefähr vorstellen, wie viel dann für den Rest übrig bleibt, geschweige denn für Aufgaben, die im Bereich der Zukunftsvorsorge liegen. Da gibt es kaum Möglichkeiten. Und dann haben wir noch den Investitionsbereich, der auch noch eine große Herausforderung darstellt. Da liegt der Investitionsbedarf in den nächsten fünf Jahren bei 900 Millionen Euro. Davon müssen 400 Millionen Euro in Schulen fließen und 300 Millionen in Mobilität, also in den Ausbau und die Sanierung von Straßen, Radwegen, Fußgängerwegen sowie Brücken. Letztere sind nicht erst seit dem Brückeneinsturz in Dresden ein großes Thema. Außerdem brauchen wir hier in Oberhausen dringend eine neue Feuerwehrleitstelle. Und da ist noch nicht eine Investition dabei, die das Thema Klimaschutz, Klimaneutralität oder energetische Sanierung betrifft. Gelder hierfür müssen wir noch zusätzlich aufbringen.
Woher kommt das Geld für solche Investitionen?
Über den Verkauf der STEAG-Aktien an unsere Stadtwerke verfügen wir aktuell über eine gute Eigenkapitalausstattung. Dadurch haben wir jetzt erstmal genug Möglichkeiten, Kredite für die nächsten Jahre aufzunehmen, um in Klimaschutz und alternative energetische Versorgung zu investieren. Mit dem Geld können die Stadtwerke eine ganze Menge machen, wie Ausbau von Elektromobilität, Errichtung von Solaranlagen auf Dächern, energetische Sanierung öffentlicher Gebäude und die Umgestaltung der gesamten Energieversorgung. Da haben wir Glück gehabt – das haben viele andere Kommunen nicht, die nicht wissen, wie sie ihre Stadtwerke mit Eigenkapital ausstatten können, um solche Investitionen tätigen zu können.
Kommunen brauchen eine auskömmliche Finanzierung
Arbeiten Sie innerhalb der Daseinsvorsorge mit privaten Dienstleistern zusammen?
Die soziale Daseinsvorsorge übernehmen bei uns ganz klassisch die Wohlfahrtsverbände. Innerhalb der Abfallwirtschaft arbeiten wir mit dem privaten Abfallentsorger REMONDIS zusammen. Diesem Unternehmen gehört ein Teil der Wirtschaftsbetriebe Oberhausen (WBO). Außerdem hält REMONDIS auch eine Beteiligung an der Verbrennungsanlage, die wir gemeinsam mit Duisburg und dem Unternehmen betreiben. Kanäle für die Wasserversorgung haben wir selbst. Hier arbeiten wir ohne privaten Anbieter. An der ein oder anderen Stelle kooperieren wir mit der Emschergenossenschaft. Den ÖPNV betreibt bei uns die STOAG als Nahverkehrsunternehmen, welches zu 100 Prozent städtische Tochter ist.
Wie wirken sich die Wirtschaftsbetriebe Oberhausen als ÖPP-geführtes Unternehmen auf den Finanzhaushalt der Stadt aus?
Dadurch, dass die meisten Leistungen hier gebührenrelevant sind, haben wir kaum Kosten. Dafür profitieren wir von Ausschüttungen, die durch Gewinne des Unternehmens erzielt werden, und bekommen Gewerbesteuer. Das macht im Haushalt schon was aus. Das, was da ausgeschüttet wird, geht in etwa zur Hälfte an REMONDIS, zur anderen Hälfte an die Verkehrsbetriebe bei uns. Über die Ausschüttung, sowohl der Stadtwerke als auch der Wirtschaftsbetriebe, kofinanzieren wir unseren ÖPNV.
Greifen Sie auch auf Fördermittel zurück, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen?
Wir haben ein Fördermittelmanagement, das meiner Meinung nach aber zu gering ausgestattet ist. Für diesen Bereich haben wir drei Personalstellen geschaffen, die aber leider immer noch nicht besetzt sind. Das heißt nicht, dass wir keine Fördermittel anwerben – das machen wir zur Genüge. Es ist jedoch ein extremer bürokratischer Aufwand für eine vergleichsweise geringe Summe. Was mir an diesem Thema nicht gefällt, ist, dass immer mehr Mittel über Förderungen ausgegeben werden, anstatt diese über die normalen Verteilungsmechanismen an die Kommunen weiterzuleiten. Meiner Meinung nach nimmt die Fördermittellandschaft eine ganz unrühmliche Entwicklung, die sowohl beim Fördermittelgeber wie auch beim Empfänger zu erheblichem Bürokratieaufwand führt und ein absolutes Misstrauen gegenüber denjenigen ausdrückt, die diese Mittel empfangen.
Wie könnte aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Finanzierungsstruktur für Kommunen aussehen?
Zunächst bräuchte es eine auskömmliche Finanzierung der Aufgaben, die Bund und Länder den Kommunen zuweisen. Wenn ich die Aufgabe vom Land bekomme, die Kitas hier zu organisieren, ist das eine Pflichtaufgabe. Das muss erledigt werden. Dann erwarte ich aber, dass die Kosten, die das Kita-System hier produziert, auch vollständig übernommen werden und die Kommune nicht über die Hälfte selbst tragen muss. Das ist eines von vielen Beispielen. Statt Fördermittel auszugeben, wäre es außerdem sinnvoller, Kommunen jährlich eine festgelegte Summe für z. B. Klimaschutz und Energiewende zu geben und Nachweise zu verlangen, dass das bereitgestellte Geld auch entsprechend investiert wurde und Effekte erzielt hat.
Generell müssten Bund und Länder, wenn sie Gesetze beschlossen haben, die Kosten für deren Umsetzung in Kommunen übernehmen. Das ist das eine. Das andere ist: Wir brauchen dringend eine Altschuldenlösung, damit wir von diesen ganzen Zinslasten und rechtlichen Bestimmungen loskommen, die mit der Überschuldung einhergehen. Nur so können wir wieder freier agieren. Und drittens brauchen wir einen Investitionsfonds für finanzschwache Kommunen, damit auch diese Zukunftsinvestitionen tätigen können. Das sind meiner Meinung nach drei fundamentale Dinge. Wenn die erfüllt wären, wären wir schon ganz weit vorn.
Bürgerinnen und Bürger in Oberhausen sind frustriert
Oberhausen gehört mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 9.419 Euro zu den am höchsten verschuldeten Städten in Nordrhein-Westfalen. Gehen wir mal davon aus, dass es keine Altschuldenlösung geben wird: Welche Pläne gibt es, diese Schulden abzubauen – gesetzlich vorgeschriebenes Ziel ist 2033?
Folgende Rechnung habe ich einmal gemacht: Wenn es keine Wirtschaftskrise mehr gibt und die Wirtschaft sich ausschließlich positiv entwickelt, dann würde es über 100 Jahre dauern, bis unsere Schulden abgebaut sind. Das wird keiner derjenigen, die heute politisch aktiv sind, erleben. Dieses Bewusstsein motiviert natürlich auch niemanden dazu, die Lebensverhältnisse der Leute drastisch einzuschränken, um Geld einzusparen. Da ist auch nicht mehr viel drin. So gesehen, würde ich sagen, werden wir die Schulden ohne externe Unterstützung nie mehr los. Denn es ist völlig unrealistisch, dass es keine Wirtschaftskrisen mehr geben wird.
In einer Veranstaltung Anfang Januar konnten die Bürgerinnen und Bürger die Diskussion zum Haushaltssicherungskonzept 2024 mitverfolgen und eigene Vorschläge einbringen. Wie kommuniziert man eine solche Haushaltslage nach außen? Und wie werden Beteiligungsangebote in Oberhausen von der Bevölkerung angenommen?
Die Bürger sind ja viel Kummer gewohnt. Das ist nicht die erste Konsolidierungsrunde, die gemacht wurde. Wir haben bereits 2011 den Stärkungspakt Stadtfinanzen gehabt. Da hatten wir auch eine riesige Bürgerbeteiligung, weil wir massiv eingespart haben – Schwimmbäder geschlossen, Steuern erhöht, Personal abgebaut, Dienstleistungen reduziert. Es wurden also ganz massive Einschränkungen vorgenommen, um den Stärkungspakt damals einzuhalten und ab 2017 wieder einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen. Das hat auch funktioniert.
Mit der Wirtschaftskrise in der Corona-Pandemie war dann aber alles, was wir uns erarbeitet hatten, wieder hinfällig. Direkt im Anschluss kam die Ukrainekrise mit ihren massiven Folgen für die deutsche Wirtschaft und damit auch für unsere Haushaltsplanungen. Und schon fangen wir wieder von vorn an. Die Bürgerinnen und Bürger sind ziemlich frustriert, die Verwaltung ist ziemlich frustriert und die Kommunalpolitik auch. Das ist leider keine gute Grundlage, um sich als Kommune für die Zukunft aufzustellen.
Trotzdem – wir sind ja schon ein bisschen abgehärtet – versuchen wir weiter, die Dinge sehr kreativ zu organisieren und möglich zu machen. Aber wir bemerken natürlich die große Frustration der Bürgerinnen und Bürger. Wenn viele Dinge nicht funktionieren und alles so lange dauert, entsteht eben der Eindruck, die Kommune funktioniere nicht so, wie man sich das vorstellt. Es ist sehr schwierig, diese Stimmung zu verändern. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen.
Chancen nutzen und Perspektiven schaffen
Wie könnte es besser laufen?
Die Rahmenbedingungen sind kommunal kaum zu verändern. Es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten. So zum Beispiel die Ansiedlung eines Unternehmens wie Biontech und dann ist man – wie die Stadt Mainz – sofort raus aus den Schulden. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nicht so hoch.
Was fehlt denn der Stadt Oberhausen, um Unternehmen dieser Größe anzusiedeln?
Es siedeln sich Unternehmen an, aber das sind dann weniger die mit den großen Zukunftsperspektiven, die auch extrem hohe Gewinne erwirtschaften. Es ist viel leichter, Unternehmen aus der Logistikbranche anzusiedeln als Hightech-Unternehmen. Das funktioniert fast gar nicht.
Wäre das denn eine Lösung für Oberhausen?
Eine Lösung? Weiß ich nicht, aber es wäre ein guter Beitrag für langsame Strukturveränderungen. Damit meine ich nicht nur mehr Einnahmen durch Gewerbesteuern. Sie hätten auch mehr Menschen mit einem hohen Einkommen, die ganz anders wirtschaftlich aktiv würden. Wir sind nicht nur eine Stadt, die hohe Schulden hat, sondern erwirtschaften auch eines der niedrigsten Bruttoinlandsprodukte und unsere Bevölkerung verfügt über eines der niedrigsten Einkommen. Das spielt alles zusammen und führt dazu, dass unsere Handlungsfähigkeit extrem eingeschränkt ist.
Das klingt nach einer sehr herausfordernden Aufgabe als Kämmerer.
Ich bin ja auch noch Kulturdezernent und habe deshalb auch noch ein paar schönere Themen auf dem Tisch. Kultur ist auch nicht einfach, wenn man kein Geld hat, funktioniert aber trotzdem. Als Volkswirt mit Schwerpunkt Sozialpolitik finde ich es aber umso spannender, in einer Stadt zu arbeiten, die es eben nicht leicht hat. Hier kann ich etwas dazu beitragen, die Chancen, die sich auftun, auch zu nutzen und den Menschen, soweit es möglich ist, Perspektiven zu bieten.
Was würden Sie sich für die Stadt Oberhausen wünschen?
Ich wünsche mir, dass sich die finanziellen Rahmenbedingungen dem Normalmaß anderer Kommunen anpassen würden, sodass wir uns mit der Kreativität, die wir jetzt über die vielen Jahre entwickelt haben, noch mehr bewegen können. Wir machen bereits einiges möglich, aber da ist definitiv noch mehr drin.
Vielen Dank für das Gespräch!