Hitze, Hochwasser, Trockenheit – der Klimawandel wird für viele Kommunen in Deutschland immer spürbarer. Wie geht es Ihnen in Pirna gerade?
Hanke: Gerade am letzten Freitagmittag (Anm. Red.: am 26.08.2022) hatten wir in Dohma ein Unwetter, bei dem eine Schlammlawine durch den ganzen Ort gerast ist. In den vergangenen Jahren hat uns schon zweimal mit extremen Hochwasser das Gegenteil von Dürre erwischt – wobei zwischen beiden Dingen ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Diese Extreme werden uns in den nächsten Jahren begleiten. Da müssen wir natürlich alles zu tun, und seien es auch nur kleine Bausteine, um dem entgegenzuwirken.
Umgang mit Hochwasser durch verbessertes Wassermanagement
Die Elbregion und damit auch die Stadt Pirna waren in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder von schweren Hochwasserereignissen betroffen. Ist das nicht einfach ein Risiko, mit dem Städte leben müssen, die so dicht an einem Fluss gelegen sind? Oder hat der Klimawandel solche Situationen tatsächlich noch verschärft?
Hanke: Der Flächenbedarf für die Entwicklung ist in den letzten Jahrzehnten natürlich dagewesen, wir sind immer weiter an die Flüsse herangerückt. Und ja, es gab natürlich auch früher schon große Hochwasser. Da haben wir hier in Pirna eine Wasserstandskala nahe dem Elbufer, die das schön illustriert. Neu sind aber die kurzen zeitlichen Abstände dieser Ereignisse. Innerhalb weniger Jahre hatten wir hier zwei Jahrhunderthochwasser (2002 und 2013) – die hundert Jahre von dem einen zum anderen haben also nicht lange gehalten.
Das Jahrhunderthochwasser 2002 hat große Schäden in Pirna verursacht. Wie gehen Sie mit so einem Ereignis um?
Hanke: Da wir über 100 Jahre kein so großes Hochwasser mehr hatten, ist auch das Wissen um den richtigen Umgang damit verloren gegangen. Heute sind wir, Gott sei dank, in der Lage, durch die schnellen Medien und einer länderübergreifenden Zusammenarbeit die Situation viel besser zu beherrschen. Wir haben jetzt ungefähr 24 Stunden Vorlauf, in denen man voraussagen kann, inwieweit ein Unwetter größere Ausmaße annimmt. Von Tschechien aus kann hier mittlerweile auch besser regulierend eingegriffen werden.
Was heißt das genau?
Hanke: Bevor das Wasser in den sogenannten „Elb Canyon“ hineinfließt, hat Tschechien mehrere und viel größere Rückhaltemöglichkeiten in dem Flussabschnitt als wir. Da gibt es zum Beispiel die Moldau-Kaskaden, die das größte Rückhaltereservoir darstellen. Wenn sich eine 5G-Wetterlage herausbildet, kann durch verstärktes Ablassen der Moldau-Kaskaden hier im Elbtal ein künstliches Hochwasser erzeugt werden – bis zu einer Höhe, bei der alle mit den daraus entstehenden Schäden leben können. Damit werden für die kommenden drei Tage Speicherkapazitäten in Tschechien für die niedergehenden Niederschläge geschaffen. Das sind Regulierungsmöglichkeiten, die wir früher nicht hatten. Vor allem nach dem Hochwasser 2013 ist die Zusammenarbeit mit Tschechien sehr positiv verstärkt worden.
Gockel: Es hat auch schon nach 2002 eine Verbesserung gegeben. Das sieht man an den Wassermengen: 2013 ist wesentlich mehr Wasser die Elbe entlanggekommen als 2002, aber der Pegelstand war 2013 nicht ganz so hoch wie elf Jahre zuvor – auch wenn das natürlich völlig ausgereicht hat, um die Stadt wieder zu fluten. Dieses Wassermanagement ist das, wo deutlich dazugelernt wurde.
Gibt es in punkto Hochwasserschutz auch stadtplanerische Maßnahmen?
Hanke: Das ist ein sehr komplexes Thema. Nur zu sagen, wir machen irgendwo eine Mauer hin, dann kommt die Elbe nicht in die Stadt – das ist nicht richtig. Wenn starke oder länger anhaltende Niederschläge sind, werden wir immer von zwei Seiten bedroht: Das ist einmal von Seiten der Elbe, die dann ansteigt und mit ihr auch das Grundwasser. Die Häuser in Pirna haben im Keller Brunnen und dort steigt der Grundwasserspiegel genauso mit.
Und zweitens haben wir zu kämpfen mit den Flüssen, die aus dem Gebirge kommen. Das sind die Gottleuba und die Seidewitz. Erstere entspringt an einer großen Talsperre und ist dort sehr gut regelbar. Es gibt im Verlauf der verschiedenen Zuflüsse auch nochmal Rückhaltebecken. Das entscheidende Becken in Niederseidewitz wartet allerdings seit 15 Jahren auf eine Genehmigung. Hier hängt es an der Frage, ob der Schutz vor Hochwasser wichtiger ist als der Schutz einer besonders wertvollen Orchideenart. Auch muss und wird sicherlich parallel zum Bahndamm noch eine Hochwasserschutzanlage errichtet werden.
Gockel: In solch baulichen Fällen ist auch die Landestalsperrenverwaltung zuständig. Denn hier handelt es sich um eine Wasserstraße und Gewässer erster und zweiter Ordnung, die aus dem Gebirge kommen. Dort ist schon viel gemacht worden, auch gerade was die kleineren Flüsse angeht, z. B. Maßnahmen zur Bereinigung und das Höherlegen der vorhandenen Brücken.
Mit „Stadtgrün“ sommerlicher Hitze begegnen
Sie hatten es schon gesagt: Hochwasser ist das eine Extrem. Wie erleben Sie die sommerliche Hitze hier in Pirna und in der Sächsischen Schweiz?
Freitag: Im Innenstadtbereich gibt es recht viel versiegelte Fläche und gerade auch aufgrund des Denkmalschutzes und der engen Straße haben wir da Schwierigkeiten, noch Grün mit hineinzubringen. Da ist es natürlich extrem heiß im Sommer und das merken auch die Bürger. Wir haben gerade ein Klimaschutzkonzept mit Schwerpunkt Stadtgrün in der Bearbeitung. In einer entsprechenden Befragung zum Thema Hitze in der Stadt haben uns die Bürger dann auch die typischen neuralgischen Punkte Innenstadt, Markt und Bahnhof genannt. Da wo viel versiegelt ist, haben auch ältere Mitbürger ein Problem im Sommer.
Was machen Sie hier, um der Hitze zu begegnen?
Hanke: Ganz praktisch haben wir gerade mit unserem Projekt „Pirnaer Stadtgärten“ damit begonnen, Siedlungsflächen in der Stadt zurückzubauen. Hier wollen wir Grünflächen anlegen. So was sind einfach kleine Schritte, um zu einer Lösung zu kommen.
Freitag: Im Klimaschutzkonzept werden solche Punkte auch verstärkt vorkommen. Wir untersuchen zudem, wo wir in der Altstadt künftig Möglichkeiten der Begrünung, Verschattung und vor allem der Abkühlung schaffen können.
Gockel: Zudem sollen auch in den Köpfen der Bürger Prozesse angestoßen werden. Der Marktplatz hat seit Canaletto seine historische Pflasterung. Aber wenn wir ihn jetzt irgendwann mal neu gestalten und diese historischen, gewohnten und identitätsstiftenden Strukturen an die heutige Zeit anpassen wollen, brauchen wir den Rückhalt der Bürgerschaft. Hier wollen wir einen Bürgerrat einsetzen, der sich an der Planung für eine klimaangepasste Umgestaltung beteiligt.
Widerstand aus der Bevölkerung beim Thema Auto
Wie ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, wenn es um solche Themen geht?
Gockel: Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem ob es ein ganz grobes Konzept ist oder ob es sich um einen konkreten Plan handelt. Je abstrakter es wird, umso geringer fällt in aller Regel auch die Beteiligung aus. Beim Marktplatz, mit dem sich viele Bürger identifizieren, werden sicher auch viele mitmachen wollen. Hier werden wir eher auswählen müssen, um eine Runde zu bekommen, die auch gut ins Arbeiten kommt.
Freitag: Bei den Beteiligungsformaten der vergangenen Jahre zu Stadtentwicklungskonzepten z. B. im Bereich Verkehr, Smart City und jetzt Stadtgrün haben sich immer um die 400 Bürger beteiligt – von jung bis alt. Mit den Rückmeldungen sind wir sehr zufrieden.
Gibt es auch Widerstände aus der Bevölkerung?
Hanke: Hier gibt es ein schönes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Das Stichwort hat Herr Freitag schon gegeben: Verkehrsentwicklungsplan. Dieser soll natürlich auch zum Klimaschutz mit beitragen, Verbrenner sollen zunehmend aus der Stadt raus etc. So haben wir uns vor knapp einem Jahr dazu entschieden, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich unseren Marktplatz autofrei zu machen. Das hat bei vielen Bürgern für großen Unmut gesorgt.
Wir versuchen auch mit guten Parkplatzmanagement Park-und-Such-Verkehr zu verhindern und haben gerade hier am Markt die höchsten Parkgebühren eingeführt. Dafür ernten wir auch viel Kritik. Aber hierbei geht es nicht darum, dass die Stadt viel Geld einnehmen oder die Bürger und Händler ärgern will. Sondern wir wollen, dass die Leute, die mit dem Auto kommen, andere Parkmöglichkeiten nutzen. Hierfür haben wir beispielsweise einen ganz zentrumsnahen Parkplatz mit fast 70 Plätzen dazu geschaffen.
Beim Auto hört der Spaß meist auf…
Gockel: Zumindest gehen die Entscheidungen immer besonders langsam. Vor zehn Jahren war z. B. der Markplatz ein riesiger Parkplatz. Die Entscheidung für einen autofreien Platz wurde damals natürlich hitzig diskutiert. Den Verkehr von damals kann sich mittlerweile aber niemand mehr vorstellen. Die Verkehrsberuhigung hier hat unheimlich zur Aufwertung der Gastronomie beigetragen und die Aufenthaltsqualität enorm gesteigert. Die Leute stellen ihre Stühle raus, es passiert plötzlich etwas. So ein Raum wandelt sich, wo früher der Verkehr durchgerauscht ist.
Klimaanpassung: Mehr Grün in die Stadt
Sie haben bereits das Projekt Stadtgrün erwähnt: Was soll da passieren?
Freitag: Hier planen wir die Errichtung verschiedener Module wie Gräser und Blühpflanzen. Das Konzept enthält auch Empfehlungen für Baumarten, die – was den Klimawandel angeht – widerstandsfähiger sind. Denn wir merken gerade jetzt, dass einzelne Baumarten sehr unter der Trockenheit leiden.
Gockel: Außerdem wollen wir eine klimaangepasste Bepflanzung vorantreiben, d. h. eher mediterrane Pflanzen, die besser mit warmen Temperaturen zurechtkommen und einen geringeren Wasserverbrauch haben.
Stichpunkt: Trockenheit. Anfang Juli gab es Waldbrände nahe der Basteibrücke, Ende Juli brannten Teile der Böhmischen und Sächsischen Schweiz. Wie haben Sie die Brände hier erlebt?
Hanke: Unsere Feuerwehren waren voll involviert. Die sind sehr gut ausgestattet und haben auch gut ausgebildete Leute. Unser Ortswehrleiter und sein Stellvertreter waren im eingerichteten Krisenstab des Landkreises mit dabei und so konnten ganz gezielt Kräfte nachgeführt werden. Hier waren zum Teil fast 1.000 Feuerwehrleute im Einsatz. Und wir hatten den einen Tag, an dem der Wind von Osten direkt aus dem betroffenen Waldgebiet kam und Pirna in Rauch gehüllt hat. Das war für die Pirnaer ein sehr eindrückliches Erlebnis.
Gockel: Der Rauch hat sich wirklich in die Fläche bis hin nach Dresden verlagert, man konnte nachts die Fenster nicht aufmachen, hinzu kam die Hitze. Also da hat Klimawandel noch mal eine neue Perspektive bekommen.
Wie können Städte und Gemeinden dem Klimawandel begegnen? Wie passen wir uns da am besten an?
Freitag: Städte grüner machen, Bäume pflanzen, die CO2 aus der Luft speichern und für Abkühlung und Beschattung sorgen, Wasser in die Stadt bringen.
Hanke: Da gibt es natürlich noch viel Potential. Zum Beispiel denke ich da an Bilder von Häusern in den Niederlanden, die total begrünt sind. Es gibt viele Möglichkeiten. Hier müssen wir im Großen wie im Kleinen Schritt für Schritt vorgehen und vor allem auch Verständnis schaffen bei den Menschen.
Vielen Dank für das Gespräch!