Lieber Herr Freitag, wie viele Kehrmaschinen sind in Potsdam im Einsatz und in welchen Intervallen?
Speziell in den Sommermonaten zieht die Stadt Potsdam viele Touristen an. Außerdem halten sich die Bürgerinnen und Bürger vermehrt in den Parks und Freiflächen der Stadt auf, was wiederum zu einem höheren Abfallaufkommen führt. Im Stadtgebiet unserer Landeshauptstadt sind deshalb bis zu drei kleine und vier große Kehrmaschinen plus Handreiniger-Teams im Einsatz – an sechs Tagen in der Woche. Eine der Kleinkehrmaschinen ist mit einem Messsystem ausgestattet, das kleinteilige Abfälle, wie Papier oder Zigarettenstummel erfasst.
Wie genau funktioniert dieses System?
Eine Kamera, die am Fahrzeug angebracht ist, macht hierbei Echtzeitaufnahmen von herumliegenden Abfällen. Die ermittelten Daten werden dann direkt in einer ebenfalls am Fahrzeug befestigten Box verarbeitet. Algorithmen der Künstlichen Intelligenz erkennen und zählen die verschiedenen Abfallarten. Zusammen mit der geografischen Lage und Uhrzeit werden diese Daten dann in kartografischer Form abgebildet. Mit dieser digitalen Lösung messen wir den Grad der Sauberkeit in unserer Stadt in Echtzeit.
Wie sind Sie auf dieses Tool gekommen?
Erstmals darauf aufmerksam geworden sind wir auf der IFAT 2022 in München, wo es von dem Unternehmen CORTEXIA vorgestellt wurde. Das System bietet eine innovative Lösung, um die Effizienz der Straßenreinigung messbar zu machen und somit die Stadtsauberkeit zu verbessern. Wir waren sofort begeistert von der Technologie und beschlossen, dass wir sie auch in unserer Stadt einsetzen wollen. Gemeinsam mit dem Fachbereich 4 (für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt) der Landeshauptstadt Potsdam haben wir dieses Projekt dann ins Rollen gebracht.
Künstliche Intelligenz für mehr Stadtsauberkeit
Potsdam ist eine der ersten Städte, in der ein KI-basiertes Messsystem zur Unterstützung der Straßenreinigung eingesetzt wird. Welche Erwartungen hatten Sie vor der Implementierung?
Wir hatten sehr hohe Erwartungen. Vorbild für uns war die Stadt Basel, in der das Messsystem bereits erfolgreich zum Einsatz kommt. Wir wollten vor allem ein Tool, mit dem wir die Stadtsauberkeit deutlich optimieren und weiteren Verbesserungsbedarf sichtbar machen können. Unser Ziel war und ist es nach wie vor, die Kundenzufriedenheit in puncto Stadtsauberkeit und Lebensqualität zu erhöhen sowie ein Optimum von Sauberkeit, Gebührenstabilität und Vermeidung von CO2-Emissionen zu schaffen.
Wie kommt das neue System bei Ihrem Personal an?
Die Akzeptanz in unserem Unternehmen ist sehr gut. Die Umstellung war nicht besonders schwierig, denn sowohl Kamera, Box als auch die Software zur Datenauswertung sind einfach zu handhaben. Außerdem wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut in das Projekt eingeführt. Aktuell sind mehrere Fahrerinnen und Fahrer mit dem Messsystem unterwegs. Vor allem unsere Dispositionsabteilung profitiert von dieser digitalen Lösung, da Verunreinigungen im Stadtgebiet nun auch visuell dargestellt werden können.
Kam es während der Testphase zu (technischen) Herausforderungen?
Zu Anfang hatten wir natürlich erstmal mehr Aufwand mit der Installation der Hardware, dem Umgang mit dem Dashboard und der Einarbeitung generell. Bei diesem Prozess wurden wir aber fachkundig von dem Unternehmen CORTEXIA begleitet und unterstützt. Das Onboarding lief also prima. Während der Testphase selbst hatten wir keine Schwierigkeiten.
Wie würden Sie die Stadtsauberkeit von Potsdam ohne die KI-Daten einschätzen? Wie zufrieden sind die Bürger und Bürgerinnen mit der Stadtsauberkeit?
Potsdam und vor allem die Innenstadt ist im Allgemeinen sauber und bietet eine hohe Wohn- und Lebensqualität. Eine Umfrage der Stadtverwaltung vom August 2022 zeigt, dass über 85 % der Potsdamerinnen und Potsdamer die Lebensqualität hier als sehr gut bzw. gut einschätzen. Wie eingangs erwähnt, unterliegt die Sauberkeit jedoch einer starken saisonalen Schwankung. Es gibt Bereiche innerhalb der Stadt mit höherer Verschmutzung, dazu gehören vor allem stark frequentierte Plätze und Bahnhöfe. Über die Online-Plattform Maerker Brandenburg können die Bürgerinnen und Bürger Infrastrukturprobleme wie Verschmutzung und Littering online melden. Auf diese Weise verbessern wir unsere Dienstleistung ebenfalls.
Welche Vorteile hat Ihrer Meinung nach der Einsatz der KI-Technologie?
Die Künstliche Intelligenz ist lernfähig und kann sich weiterentwickeln. Auf das genannte Messsystem bezogen, werden Abfälle und kleinteilige Verschmutzungen schnell erkannt und in Echtzeit übertragen. Eine der größten Vorteile für uns ist: Der Verschmutzungsgrad der Stadt wird durch die KI objektiv messbar. Zudem können wir die Möglichkeit nutzen, weitere Komponenten wie Papierkorbstandplätze oder Dogstations mit in die Betrachtung einzubeziehen.
Welche Daten konnten Sie bisher erheben?
In der Testphase des Projekts – von September 2022 bis Ende März 2023 – haben wir Daten zur Sauberkeit der Rad- und Gehwege sowie zu den verschiedenen Abfallkategorien ermittelt. Diese können wir nun differenzierter darstellen und Abfallhotspots lokalisieren. Aktuell sind wir noch dabei, die Daten auszuwerten und mit dem Fachbereich 4 das weitere Vorgehen zu besprechen. In der Testphase hat sich gezeigt, dass der ermittelte Reinigungsindex (Clean City Index) für den Innenstadtbereich hoch ist, d. h. es ist relativ sauber. Das ist jedoch nicht repräsentativ für ein ganzes Jahr.
Nachhaltigeres und bedarfsgerechtes Arbeiten mit KI
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Datenlage für Ihre Arbeit? Gibt es hier bereits Ideen, wie eine angepasste Tourenplanung oder das Aufstellen von Abfallbehältern?
Da wir uns noch in der Auswertungsphase befinden, ist es noch etwas früh für Ableitungen. Diese werden wir dann zu gegebener Zeit mit dem Fachbereich 4 der Landeshauptstadt Potsdam vornehmen. Es ist geplant, die gereinigte Fläche durch eine optimierte Ressourcenallokation zu erhöhen. Wir wollen Ballungsräume ermitteln und Mülleimer-Standplätze in die Betrachtung mit einbeziehen. Außerdem denken wir über den Einsatz von saisonalen Abfallbehältern an stark frequentierten Plätzen nach.
Das zum Teil subjektive Empfinden bezüglich der Sauberkeit in unserer Stadt kann durch den Clean City Index des Tools objektiviert werden. Durch den Einsatz des Messsystems werden Optimierungspotenziale sichtbar. Wir können Synergieeffekte heben, welche bestimmte Fahrten überflüssig machen und damit Umweltaspekte berücksichtigen. Das ermöglicht ein nachhaltigeres und bedarfsgerechtes Arbeiten.
Neben Digitalisierungsprojekten, welche Wege gehen Sie noch im Rahmen der Stadtsauberkeit?
Über 90 Mitarbeitende in mehreren Reinigungsteams sind für die Sauberkeit in der Stadt Potsdam tagtäglich im Einsatz. Darunter sind Mitarbeitende für Grünflächenpflege und Papierkorbentleerungen. Über 90 % unserer Arbeitsgeräte im Bereich Grünflächenpflege und Reinigung, wie Laubbläser, Freischneider, Heckenscheren und Rasenmäher, sind vollelektrisch. Damit wollen wir sowohl Geräuschbelästigung als auch Immission durch CO2 so gering wie möglich halten. Außerdem setzen wir E-Fahrzeuge ein, erweitern unsere Fahrzeugflotte dahingehend stetig und testen auch neue, alternativ angetriebene Fahrzeuge.
Wohin könnte es in Zukunft Ihrer Meinung nach mit der KI-Technologie gehen?
Die KI-Technologie ist schon heute Bestandteil unseres täglichen Lebens, wenn auch deren Entwicklung und Möglichkeiten noch am Anfang stehen. Ich bin überzeugt davon, dass KI in Zukunft immer mehr Einzug in unseren Alltag halten und sich ständig verbessern wird. Ein Teil der Herausforderungen wird dabei sein, Anwendungsgebiete und Use Cases zu identifizieren und diese zu entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch!