Lieber Herr Hähnke, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema alternative Antriebe. Dabei plädieren Sie für Vielfalt auf der Straße. Sind Sie deshalb ein gern gesehener Gast in Diskussionsrunden und Podcasts rund um die Verkehrswende?
Ja, das ist sicher ein Grund. Der andere Grund ist, dass ich grundsätzlich Klartext rede über das, was wir wollen und was wir tun. Nett verpackt, führt zu falscher Wahrnehmung. Wenn man hingegen Probleme und Themen klar anspricht, wird man gerne zu solchen Podiumsdiskussionen eingeladen. Das größte Problem ist, dass ich oftmals nicht sage, was schon alles geht. Ich kritisiere mehr das, was noch nicht so richtig funktioniert. Dabei hat Deutschland z. B. ein ganz tolles Förderprogramm für alternative Antriebe. Da wird wahnsinnig viel Geld zur Verfügung gestellt, so dass man schon mal anfangen kann.
Der Mix von alternativen Antrieben macht’s
Bis 2030 will die Bundesregierung 7 Millionen Elektrofahrzeuge auf deutsche Straßen bringen. Für die müssen 1 Million Ladepunkte geschaffen werden. Innovative Lösungen und Förderprogramme sollen den Ausbau voranbringen. Schaffen wir das?
Die Zahl gilt für die privaten Haushalte, das kann ich nicht einschätzen. Für die Logistik, also den LKW-Bereich ist es zwar so, dass die ersten skandinavischen Hersteller Serienautos produziert haben, die man kaufen kann. Auch Deutschland bemüht sich dahingehend, aber das wird noch etwas dauern. Zudem fehlen die dazugehörigen Ladestationen. Ich persönlich halte es außerdem für ein Märchen, dass nach vier Stunden Fahrt, wenn ein LKW Pause machen muss, an einer Autobahn zufällig genau dort eine freie Schnellladesäule sein wird. Hierfür fehlt die öffentliche Infrastruktur für LKWs. Das überlässt man der Privatwirtschaft.
Ein drittes Problem besteht darin, dass der Diesel nicht verschwindet, nur weil Elektromobilität kommt. Kein Tankstellenbetreiber wird eine Dieseltankstelle abreißen und dafür einen Ladepark bauen. Oder gar eine Dieseltankstelle abreißen und dafür eine Wasserstofftankstelle bauen. Da der Diesel noch lange fahren wird und wir nur langsam in die alternativen Antriebe hineinwachsen, benötigen wir eine Vielfalt. Wir brauchen zusätzliche Flächen für Wasserstofftankstellen und Elektroladestationen. Davor habe ich am meisten Respekt.
Gibt es noch einen weiteren Grund, warum Sie einen Mix aus alternativen Antrieben befürworten?
Wenn wir als Unternehmen technologieoffen sein wollen, dann müssen wir nicht nur über Elektro- oder Wasserstofffahrzeuge reden, sondern auch über Motoren. Dem Elektromotor beispielsweise ist völlig egal, wo der Strom herkommt. Ob aus der Brennstoffzelle oder aus dem Akku. Hier führen wir eine ideologische Diskussion. Der Verbrennermotor ist an sich überhaupt nicht das Problem. Das, was wir da reintanken und was aus dem Auspuff rauskommt, ist das Problem. Wir brauchen den richtigen Treibstoff, für die richtige Anwendung, im richtigen Motor, mit der richtigen Investition.
Wo steht Deutschland aktuell in der Entwicklung alternativer Antriebe und welche werden sich in privatenHaushalten, Transportlogistik und bei kommunalen Fahrzeugen durchsetzen?
Ich glaube, dass sich im PKW-Bereich die Elektromobilität durchsetzen wird. Diese Fahrzeuge sind im Augenblick mit durchschnittlich knapp über 50.000 Euro für einen Neuwagen nur noch zu teuer. Die Modellvielfalt, wie wir sie im Verbrenner-Bereich haben, ist jedoch noch nicht vorhanden. Bei LKWs wird es ganz klar einen Mix geben. Da spielt zum einen der Verbrenner eine große Rolle. Zum anderen sind wir gerade in der Recyclingwirtschaft oft mit Biogasfahrzeugen unterwegs und werden diesen Weg ebenso wie das Fahren mit HVO–Biodiesel konsequent weiter führen.
Wie könnten die relevanten Bereiche der Daseinsvorsorge einer Kommune wie Stadtsauberkeit, ÖPNV oderAbfallwirtschaft verkehrstechnisch sauber werden? Könnten beispielsweise Oberleitungen genutzt werden?
Bei der Oberleitung ist es so, dass es hier leider nur drei Teststrecken in Deutschland gibt. Die REMONDIS-Schwester Rhenus Contargo ist derzeit auf der A5 unterwegs. Leider wird die Oberleitung aus Sicherheitsgründen immer wieder mal abgeschaltet. Das ist somit noch keine zuverlässige Alternative. Ich sehe sie eher als zusätzliche Ladeoption. Im Kontext der kommunalen Sammlung wird der Betriebshof einer mittelgroßen Stadt auch mit Elektromobilität an Grenzen stoßen. Es ist ein Unterschied, ob ich drei LKWs elektrisch lade oder 30. Dann muss ich richtig investieren, da es nicht ausreicht, einfach Ladesäulen zu bauen. Unabhängig von irgendeiner Förderung spielen Faktoren wie der Energieversorger, der Trafo oder die Zuleitung usw. hierbei eine zu wichtige Rolle.
Kommunen fehlt Planungssicherheit
Die Clean Vehicles Directive und das Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge sind den meisten bekannt. Wie fängt man als kommunale Entscheiderin bzw. kommunaler Entscheider bei deren Umsetzung an?
Hier geht es los mit einer Bestandsaufnahme. Das ist noch relativ einfach. Da kann ich beispielsweise Verkehrsströme messen und bewerten. Planungssicherheit gibt es dagegen nicht. Wir wussten im Juni noch nicht ansatzweise, dass sich die LKW-Maut fast verdoppelt. Wir wissen noch nicht einmal, wie lange es das Förderprogramm für alternative Antriebe noch geben wird und wenn ja, in welcher Höhe. Unter diesen Umständen kann eine Stadtplanung nicht auf sechs oder acht Jahre planen. Diesen Planungszeitraum braucht sie aber, um eine vernünftige Tank- und Ladeinfrastruktur aufzubauen.
Welche Vorteile habe ich als Kommune, wenn ich eine Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) etabliere, um die Verkehrswende lokal voranzutreiben?
Eine ÖPP hat den großen Vorteil, dass der private Partner aus der Wirtschaft über technologie- offene Vielfalt genau Bescheid weiß, was funktioniert und was nicht. Wir als REMONDIS können eine Kommune beraten und über unsere Erfahrungen mit anderen ÖPPs oder aus unseren Beteiligungsgesellschaften berichten. Diese Form der Beratung ist auch für die Förderlandschaft relevant. Wenn eine Kommune in alternative Antriebe einsteigen will, können wir ihr sagen, was derzeit gefördert wird und was nicht. Wir haben auch schon zwei, drei Ausschüsse für das Verkehrsministerium beraten. Das ist im Übrigen keine leichte Aufgabe.
Welche Erfolge hat die Privatwirtschaft in letzter Zeit in die Politik eingebracht?
Neben einigen Fehlentscheidungen des Verkehrsministeriums war das 2,2 Milliarden Euro schwere Förderprogramm der Bundesregierung eine große Hilfe. Wir haben damals schon das Verkehrsministerium beraten und ein Positionspapier aufgesetzt. Das haben wir ohne Verbände getan, ohne unsere LKW-Hersteller. Mit drei privatwirtschaftlichen Unternehmen sind wir dabei auf das Ministerium zugegangen und haben darauf hingewiesen, dass etwas passieren muss, wenn mehr LKW mit alternativen Antrieben auf den Straßen fahren sollen und wie wir uns das vorstellen. Selbstverständlich wurde nicht alles umgesetzt, aber einiges.
Als das Förderprogramm dann kam, haben einige Kommunen Anträge gestellt. Für alle Sammelfahrzeuge gab es aber eine Ablehnung. Deshalb wurde in einer zweiten Runde ein Sonderfördertopf für Kommunalfahrzeuge ins Leben gerufen. Unsere Aufgabe dabei war es, Kommunen zu beraten. Die Idee, einen Sonderfördertopf für Kommunalfahrzeuge zu etablieren, die sich untereinander werten und vergleichen, ging auf. Die ersten Kommunalfahrzeuge erhielten dann einen positiven Förderbescheid. Beim Förderprogramm für Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur KsNI befinden wir uns aktuell in der 2. Förderrunde.
Ursprünglich sollte Ende des Jahres der 3. Förderaufruf starten. Angesichts zusätzlicher LKW-Mauteinnahmen in Höhe von fast 8 Milliarden Euro pro Jahr müssen wir davon ausgehen können, dass die Fördertöpfe wieder aufgefüllt werden. Falls nicht, macht Deutschland beim Thema Klimaschutz für Nutzfahrzeuge erst einmal Pause.
HVO – der synthetische Kraftstoff der Zukunft
Lassen Sie uns über HVO und über Entwicklungen für Verbrennungsmotoren mit HVO als synthetischem Kraftstoff reden. Was genau steckt dahinter? Welche Vor- und Nachteile gibt es?
HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) ist nicht vergleichbar mit dem Biodiesel, den wir Anfang der 2000er Jahre im großen Stil gefahren haben. Es handelt sich dabei um einen synthetischen Kraftstoff, der in erster Linie aus gebrauchten Pflanzenfetten, nicht aus Palmöl, hergestellt wird. Das Pflanzenöl hat eine begrenzte Verfügbarkeit. Wie lange diese Ressource verfügbar ist, können wir noch nicht abschätzen, aber Plantagen werden deshalb sicher keine bepflanzt. Die Mineralölhändler sagen zwar, dass im Moment noch genug biogenes Inputmaterial vorrätig ist. Aber was heißt genug, wenn tausende LKWs auf HVO umgestellt werden? Da fürchte ich, dass wir an Grenzen stoßen werden, was die Verfügbarkeit angeht. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass etwas, was natürlich begrenzt ist, irgendwann teuer wird.
Wenn Sie auf die Seite des Bundesverkehrsministeriums gehen und danach suchen, welche alternativen Antriebe die Clean Vehicles Directive erfüllen, werden Sie HVO-Biodiesel finden. Für dessen Nutzung müssen keine Umrüstungen der Autos stattfinden, keine Wartungsintervalle der LKWs verkürzt werden, die Filter müssen nicht früher ausgetauscht werden als sonst. Sie können eigentlich morgen mit dem Umtanken und Umdenken anfangen. Je nach Gutachten spart man zwischen 70 und 80 % CO2. Im Moment kostet dieser Biodiesel um die 0,20 € mehr als Mineralöldiesel.
Warum ist synthetischer Diesel in der öffentlichen Wahrnehmung mit 80 % CO2–Einsparung nicht ein viel größeres Thema im Diskurs der alternativen Antriebe?
Das Verkehrsministerium ist der Auffassung, dass HVO der Clean Vehicles Directive entspricht; das Bundesumweltministerium hingegen hat diesen Treibstoff bisher nicht für den Verkehr freigegeben. Das bedeutet: Man darf ihn bisher nicht an einer öffentlichen Tankstelle erwerben, sondern darf ihn lediglich an der betriebseigenen Tankstelle tanken. Das ist absurd, aber eine Tatsache. Warum zwei Ministerien so verschieden denken, kann nur mit der ideologischen Diskussion des Verbrenner-Aus zusammenhängen. Wir reden doch gar nicht mehr über den Treibstoff, der drin ist, oder CO2-Ersparnisse, sondern generell darüber, ob ein Verbrenner sein darf oder nicht. Ab dem kommenden Jahr soll man aber nun endlich HVO an Tankstellen tanken dürfen.
Wasserstoff, Elektromobilität, Biogas und HVO-Biodiesel
Zum Thema Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz: Die Politik treibt die Transformation hier voran, zehn Prozent des Fuhrparks von Städten und Gemeinden müssen auf alternative Antriebe umgestellt werden. Welche Kommune fällt Ihnen hier als Paradebeispiel ein?
Die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) zum Beispiel fährt ausschließlich elektrisch. Dort haben wir eine Abfallverbrennungsanlage, da ist ein Ladepark, wo ÖPNV-Busse, kommunale Sammelfahrzeuge und unsere elektrischenSattelzugmaschinen für die Anlagennachtransporte laden. Alle teilen sich einen Ladepark. Das ist ein gesamtheitliches Konzept, wie ich es mir für eine Stadt vorstelle. Als privatwirtschaftlicher Partner arbeiten wir hier auch eng mit dem ÖPNV zusammen. Zusätzlich haben wir die Anlagennachtransporte über die gleiche Ladeeinheit elektrifiziert. Frankfurt wird trotzdem auch ein Wasserstoffauto bestellen, weil sie sich weiteren alternativen Antrieben gegenüber nicht verschließen will.
Die Stadt Freiburg, mit der wir ebenfalls zusammenarbeiten, setzt dagegen auf Wasserstoff. Hier gibt es bereits neun Fahrzeuge, sechs weitere kommen Ende des Jahres noch hinzu. Freiburg hat trotzdem auch elektrische Autos gekauft und fährt, ähnlich wie Frankfurt, vielseitig und parallel. Das sind für mich Musterbeispiele für Kommunen. Ich betone allerdings, dass man das alles wirklich wollen muss und dass man den richtigen ÖPP-Partner dafür braucht. Außerdem braucht es auch den politischen Willen auf Seiten der kommunalen Entscheider.
Wie sollten kommunale Entscheiderinnen und Entscheider bei der Planung ihres Fuhrparks vorgehen? Welche Hilfe können sie wo bekommen?
Der erste Tipp ist die Bestandsaufnahme: Was habe ich in der Stadt und was ist mit meiner Infrastruktur möglich? Der zweite Tipp ist, einfach mal mit einer kleinen Sache anzufangen. Und drittens ist es wichtig, sich Hilfe von Partnern zu holen, die das schon mal durchlebt haben.
Gibt es aus logistischer Sicht noch Überlegungen, die man als Kommune anstellen sollte?
Generell fahren Sammelfahrzeuge keine Wege umsonst. REMONDIS Digital Services hält dafür geeignete IT-Werkzeuge wie beispielsweise die dynamische Tourenplanung bereit, um Sammeltouren weiter zu optimieren. Wenn diese Fahrzeuge dann noch mit alternativen Antrieben unterwegs sind, ist das der Königsweg.
Was würden Sie sich seitens der Kommunal- oder Bundespolitik für die nächsten fünf Jahre wünschen?
Wenn wir unsere Wünsche an die Kommunen adressieren, ist das der falsche Weg. Denn die hängen ja am Ende des Tages am Nabel des Bundes. Von der Bundespolitik wünschen wir uns aber Folgendes: Wir müssen die Clean Vehicles Directive anders definieren. Die Bandbreite, die wir da haben, ist einfach zu groß. Zudem wünschen wir uns Geschwindigkeit in der Bürokratie sowie transparente Förderkriterien. Zu guter Letzt wünschen wir uns, dass wir technologieoffen mit allen Antrieben arbeiten. Denn, wenn wir uns nur auf den einen Antrieb verlassen, dann sind wir verlassen.
Vielen Dank für das Gespräch!