Lieber Herr Neumann, Sie sind hier geboren und leben in Altenburg. Was mögen Sie persönlich an Ihrer Stadt?
An Altenburg mag ich vor allem, dass im Grunde genommen alles schnell zu Fuß erreichbar ist. Selbst in die Randgebiete Nord oder Südost, in die für die Wismut-Arbeiter entstandenen Neubaugebiete, kann man von der Innenstadt aus locker spazieren. Trotz dieser Kompaktheit haben wir für eine rund 32.000 Einwohner umfassende Kommune unglaublich viel zu bieten: ein Fünf-Sparten-Theater, renommierte Museen, das Schloss mit Schlosspark, eine herzogliche Parkanlage mit dem Großen Teich und einen Stadtwald.
In der Freizeit kann man außerdem die historische Innenstadt mit vielen Gassen, einem großen Markt und sogar einem Kino besuchen. Zudem sind wir eine sichere Stadt mit einer relativ geringen Kriminalitätsrate. Wir haben darüber hinaus sehr gute Schulen – von der Grundschule über Realschule und Gymnasium bis zur Berufsschule – und wunderbare Kindergärten. Bei uns bekommt auch jedes Kind einen Platz. Die Nähe zu Leipzig ist auch ein Standortvorteil. Wenn man den Großstadttrubel vermisst oder die Kneipenmeile in Leipzig besuchen möchte, ist man in einer halben Stunde via S-Bahn mittendrin.
Woraus ist Ihre Vision für die Stadt Altenburg entstanden und wie haben Sie diese entwickelt?
In den 1980er Jahren hatte die Stadt Altenburg noch rund 56.000 Einwohner. Seitdem sind es 24.000 weniger, gerade nach der Wende haben viele junge Menschen die Stadt verlassen. Diese Situation wollte ich unbedingt ändern und Altenburg wieder zu einer attraktiven lebenswerten Kommune entwickeln. Ein Schlüssel dafür ist auf jeden Fall das Ankurbeln von Wirtschaft, Kultur und Bildung. In der ersten Phase meiner Amtszeit, ungefähr das erste halbe Jahr, habe ich deshalb zunächst sondiert: Was funktioniert überhaupt vor dem Hintergrund der Fördermittellage? Was müssen wir beachten aufgrund von gesetzlichen Gegebenheiten? Ende 2018 konnte ich dann konkret werden und es entstand die Vision 2030 auf Grundlage von drei Säulen.
Wie kommen Sie an die notwendige Finanzierung für Ihre konkreten Vorhaben?
Durch die geringen Gewerbesteuereinnahmen ist Altenburg eine relativ „klamme“ Kommune. Das heißt, es war von Anfang an klar, dass die Vision hauptsächlich durch Fördergelder finanziert werden muss. Aber: Mit einer Idee und einem Konzept ist es einfacher, Fördermittel zu erhalten. Ich kann nur jeder Gemeinde den Tipp geben: 1. Schwerpunkte in der Stadtentwicklung setzten, 2. konkrete Ideen entwickeln und dann 3. die richtigen Fördertöpfe finden. Die Vision zielt darauf ab, dass sich die finanzielle Lage zukünftig bessert.
Drei Säulen der Stadtentwicklung
Wohin soll Altenburg sich in den nächsten zehn Jahren entwickeln?
Das Fundament der kommenden Dekade fußt auf drei Säulen, in welche unsere Investitionen vor allem fließen: den Schlossberg, die Innenstadt und das Areal am Großen Teich. Diese Schwerpunktsetzung ist wichtig, denn wer alles will, erreicht oft nichts. Unsere Ressourcen sind begrenzt, wir müssen die knappen Mittel fokussieren.
Die erste Säule
Die Entwicklung des Schlossbergs mit den drei renommierten Museen, Teehaus, Orangerie und dem Marstall hat längst begonnen. In den nächsten Jahren werden dort – das Landestheater hinzugerechnet – circa 70 Millionen Euro investiert. Unter dem Dach einer möglichen Stiftung wird sich der Schlossberg zu einem überregional ausstrahlenden touristischen Leuchtturm entwickeln, dessen Museen weiter aufblühen und auch gemeinsame Projekte auf den Weg bringen werden. Auch ohne Mitgliedschaft in einer Stiftung werden Landkreis und Stadt gemeinsam das Areal zu einem Tourismusmagnet entwickeln.
Die zweite Säule
Die zweite Säule der Stadtentwicklung ist die Innenstadt. Schon jetzt ist das Stadtzentrum einladend. Noch in diesem Jahr werden die Sitzmöglichkeiten verdoppelt und großflächig Bäume gepflanzt, sodass sich die Aufenthaltsqualität erhöht. Ein Wasserspiel sprudelt bereits seit zwei Jahren. Insgesamt wird der Marktbereich weiter aufgewertet. Für einen kräftigen Schub bei der Belebung der Innenstadt sollen die Pläne für das Ernestinum und Josephinum sorgen. Das Ernestinum soll künftig eine moderne Stadtbibliothek beherbergen und das Josephinum verwandelt sich perspektivisch in eine Spieleerlebniswelt.
Zusammen mit der Music Hall, dem Logengebäude und weiteren Anlaufpunkten entsteht so ein touristisches Highlight in der Innenstadt. Der Kunstturm hat sich schon im letzten Jahr als origineller Ort besonderer Ausstellungen etabliert. In der Folge profitieren Geschäfte und Gaststätten, der Leerstand soll so nach und nach abnehmen. So entwickelt sich unsere Innenstadt für Einheimische und auswärtige Besucher zu einem liebenswerten und generationsübergreifenden Anziehungspunkt.
Die dritte Säule
Der dritte Entwicklungsschwerpunkt ist das Areal am Großen Teich unter Einbeziehung der Hellwiese. Auch hier stehen wir glücklicherweise nicht bei null. Viele attraktive Angebote existieren bereits. In den nächsten Jahren soll der Skaterplatz erweitert werden und der kleine Festplatz ist bereits 2021 zu einem Erlebnisbereich mit Gelegenheit zu sportlicher Betätigung entwickelt worden. Der Bereich der Hellwiese ist zur Renaturierung vorgesehen. Schon bald sollen hier die ersten Wasserbüffel grasen. Die Uferpromenade auf der Hotelseite wird neu gestaltet und der Wohnmobilstellplatz weiter entwickelt.
Wo stehen Sie dann 2030?
Die öffentlichen Investitionen in die Bereiche Schlossberg, Innenstadt und Großer Teich werden viele private Initiativen beflügeln oder erst entstehen lassen. In Altenburg wird sich Aufbruchsstimmung ausbreiten: Die ansässigen Unternehmen und Vereine, Neuansiedlungen und Neugründungen werden sich einbringen. Kurz: 2030 wird es Altenburg vom Geheimtipp zur angesagten Kultur- und Erlebnisstadt gebracht haben, in der vor allem Familien sich wohlfühlen. Für sie ist geplant, vier bis fünf unserer 29 städtischen Spielplätze zu besonderen Spielplätzen – mindestens in jedem Stadtteil einen – umzugestalten. Damit wurde bereits im vergangenen Jahr begonnen.
Viele Städte geben Ihrer Kommune ein Image oder Label, wie Universitätsstadt Marburg oder Musikstadt Leipzig, welche Beschreibung würde gut zu Altenburg 2030 passen?
Für mich ist Altenburg ganz klar die „Perle Mitteldeutschlands“. Und das Bild wollen wir mit der Entwicklung bis 2030 auch unterstreichen und entwickeln. Altenburg hat so und mit neuem Selbstbewusstsein auch die Bewerbung um die Landesgartenschau 2030 gewonnen. Hier werden wir dann voller Stolz zeigen, was wir bis dahin geschafft haben..
Förderung lokaler Wirtschaft, Sauberkeit und Umweltschutz
Neben den drei Säulen wollen Sie bis 2030 vor allem die lokale Wirtschaft und das städtische Vereinslebens fördern. Wie sieht das im Konkreten aus?
Zu einer lebendigen, vitalen Stadt gehören engagierte Vereine und prosperierende Unternehmen. Ich habe mir vor allem die Entwicklung eines Industrieparks vorgenommen. Das Altenburger Land hat Braunkohle-Fördermittel in Höhe von 90 Millionen Euro erhalten. Mit rund 35 Millionen Euro davon wollen wir diesen Industriepark entwickeln, mit Schwerpunkt „Nachhaltige Energiegewinnung und zukunftsorientierte Technologie“. Damit werden mehrere 1000 Arbeitsplätze geschaffen.
Die Förderung der lokalen Wirtschaft und des städtischen Vereinslebens sind feste Bestandteile der Vision Altenburg 2030. Dazu zählen insbesondere intensive Kontakte über Firmen- und Vereinsbesuche, runde Tische im Rathaus, Schaffen von Netzwerkangeboten und ein E-Mail-Verteiler für Neuigkeiten – sprich: Wir kümmern uns um die Akteure der Stadt. Dazu verbessern wir auch die Infrastruktur in der Stadt.
Von gleichrangiger Bedeutung sind zudem die Themen Sauberkeit und Umweltschutz. Wir setzen auf Grün in der Stadt, haben die Anzahl der Abfallbehälter deutlich erhöht und Mitarbeiter eingestellt, die die Stadt sauber halten. Apropos Instandsetzung von Fußwegen und Straßen: Auf der Website der Stadt kann jeder Bürger und jede Bürgerin eine Mängelmeldung hinterlassen.
Wird dieser Bürgerservice wahrgenommen und wie beteiligen sich die Altenburger an diesem Punkt?
Wir haben in kurzer Zeit über 600 eingegangene Mängel über unsere Website erhalten. Manches hat mit uns nicht unmittelbar zu tun. Aber das, was hinsichtlich Stadtsauberkeit oder Straßenschäden bei uns per E-Mail eingeht, wird dann auch abgestellt und beseitigt. Jetzt entsteht gerade eine App, die es den Bürgerinnen und Bürgern noch leichter macht, Schadensmeldungen ans Rathaus zu übermitteln. Foto machen, hochladen und einen Teil dazu beitragen, dass die Stadt schöner wird.
Die Netzwerkangebote, Workshops mit der Bevölkerung, ein Jugend-, Senioren- und Familienbeirat als generationsübergreifendes neues Gremium, ein Einwohnerbudget – eine Art Bürgerhaushalt –, digitale und analoge Bürgersprechstunden oder Einwohnerversammlungen werden gut angenommen.
Thema Sauberkeit und Umweltschutz: Welche Maßnahmen haben bereits gegriffen?
Seitdem wir erfahren haben, dass wir 2030 die Landesgartenschau austragen dürfen, legen wir hier noch einmal den Fokus auf Umwelt und grüne Strukturen. Infrastruktur, Parkanlagen und Wege werden Beziehungen zwischen den drei Säulen schaffen. Hier sollen entlang der Blauen Flut – ein Fließgewässer durch Altenburg – für Radfahrer und Fußgänger Naturwiesen, Wasserflächen und Biotope entstehen. Der Große und der Kleine Teich werden ebenfalls deutlich attraktiver.
Ein wichtiger Punkt in Sachen Nachhaltigkeit ist außerdem bei uns der Bau von fünf außergewöhnlichen Spielplätzen, sogenannte „Highlight-Spielplätze“. Der erste ist schon entstanden, der zweite wird gerade montiert. „Highlight“ heißt, dass es immer ein außergewöhnliches Element gibt. Die Spielplätze sind umzäunt und werden morgens aufgeschlossen, abends zugeschlossen, sodass die Sauberkeit und Sicherheit der Kinder auch gewährleistet ist.
Zudem erarbeiten wir gerade ein Verkehrs-Entwicklungskonzept, welches mit Nachhaltigkeit einhergeht: weniger Straßenlärm, verkehrsberuhigte Bereiche und vor allem viele neue Radwege.
Klimaschutz ist Teil der Vision 2030
In Ihrem Vorhaben sind auch Flächen zur Renaturierung vorgesehen. Wo findet Klimaschutz seinen Platz in der Stadtvision von Altenburg?
Meine Vision ist es, dass es in unserer Kommune wieder Räume mit reinen Wiesen und Wäldern gibt. Das heißt, wenn ein Baum umkippt, ihn auch liegen zu lassen und zu sehen, wie sich das Ganze auch über 100 Jahre entwickelt. Bei der Wiesen-Wald-Teich- und Moorstrategie arbeiten wir eng mit der Naturforschenden Gesellschaft Altenburg zusammen. Bereits jetzt haben wir die Fischerei im See gestoppt und die Ansiedlung der Wasserbüffel steht kurz bevor. Das ist übrigens das Resultat eines Vereinsprojekts.
Bei dieser Frage will ich auch unser Neubaugebiet Altenburg-Nord erwähnen. Dort lebt man mittlerweile fast wie in einer grünen Oase. Bäume sind hochgewachsen, Wiesen und Parkanlagen haben sich entwickelt. Ein Punkt, der oft in Kommunen vernachlässigt wird, ist die Neubau-Umgebung. Bei uns ist diese fast vergleichbar mit ländlicher Natur. Bei unserem zweiten Neubaugebiet Altenburg-Südost gibt es noch viel zu tun, aber auch das gehen wir an. In der Innenstadt statten wir den Markt mit einem Wasserspiel aus, verdoppeln das Grün und die Sitzflächen für Menschen, die gern pausieren möchten.
Die Innenstädte verändern sich und wir müssen sie nach neuen Prämissen gestalten. Nämlich als Orte des Verweilens, der Kultur, des Tourismus und des Erlebens. Deshalb wird es in der Altenburger Innenstadt 2030 mehr Schatten, mehr Grün und mehr Wasser geben. Das senkt die Temperaturen und bietet gleichzeitig Raum für spielende Kinder und sich erholende Erwachsene. Auch das Veranstaltungsangebot wird weiter ausgebaut.
Bürgerbeteiligung und Kooperationen
Wie können die Einwohner und Einwohnerinnen von Altenburg mitgestalten? Wie steht es um die Akzeptanz für Ihre Vorhaben?
Die wichtigste Aufgabe im Prozess lautet: Bürgerinnen und Bürger auf der Reise mitnehmen! In der analogen und digitalen Bürgersprechstunde erfahren wir zwar auch ab und an Gegenwind. Das sind aber meist nur Rufe, an bestimmte Dinge zu denken. Oft entsteht aus einer „ersten Meldung“ eine neue Bürgerinitiative. Um Vereinen und Initiativen einen Ort für Zusammenkünfte und Austausch zu ermöglichen, haben wir stadteigene Gebäude, wie unser altes Einwohnermeldeamt sowie den „Kunstturm“, zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Hier können Jugendliche, Senioren, Aktive und Interessengruppen die Gelegenheit nutzen und Vereinsarbeit stattfinden lassen.
Dieser „Freiraum“ schafft auch freien Raum fürs Denken und wir sind begeistert, was hier für interessante Dinge entstehen. Die Themen Umwelt, Natur und Klimaschutz stehen bei vielen Altenburgern ganz oben, denn jeder will seine Umgebung vor allem grün und im Einklang mit Mensch und Umwelt gestalten.
Welche Kooperationen gehen Sie auf dem Weg ein und auf welche Partner setzt die Kommune Altenburg?
Wichtige Partner für mich sind der Landrat sowie die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Umlandgemeinden. Hier pflegen wir eine sehr konstruktive Zusammenarbeit und darüber bin ich sehr glücklich. Bei allen eigenen Ideen aus der Kommunalpolitik brauchen wir aber auch privatwirtschaftliche Unternehmen als Partner: In der Planung, beim Bau, in der Landschaftsgestaltung, in der Daseinsvorsorge und auch Berater, die Erfahrung mit Städtebauentwicklung gesammelt haben.
Für die Spiele-Erlebniswelt haben wir beispielsweise von einer Hamburger Firma eine Machbarkeitsstudie anfertigen lassen. Die hat uns errechnet, dass wir mit Eröffnung dieser Einrichtung ungefähr 75.000 Touristen im Jahr nach Altenburg holen. Diese werden wieder dafür sorgen, dass noch Cafés und Restaurants eröffnen, weil dann die Nachfrage da ist. Und somit wird die Innenstadt zu einer touristischen Verweil-Lebens-Zone, in der sich auch Geschäfte halten und neue eröffnen können.
Vielen Dank für das Gespräch!