Wie ist die Abfallwirtschaft in der Schweiz generell organisiert, Herr Simonelli?
In der Schweiz hat das Gemeinwesen das Monopol über den Siedlungsabfall – zu diesem gehören alle Abfälle aus Privathaushalten und Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden. Die Gemeinden schreiben Aufträge für die Entsorgung von Abfällen aus und die privaten Entsorgungsbetriebe können sich um diese Aufträge bewerben. Einige Städte oder Verbandsgebiete organisieren ihre Abfallwirtschaft auch im Eigenbetrieb, wie beispielsweise die Stadt Zürich mit der Abteilung ERZ (Entsorgung + Recycling Zürich) oder die Region Luzern mit dem Gemeindeverband REAL (Recycling Entsorgung Abwasser Luzern).
Gibt es auch Öffentlich-Private Partnerschaften oder sind Sie als Unternehmen vorrangig Dienstleister?
Das ÖPP-Modell gibt es in der Schweiz bisher nirgends, wir sind Dienstleister für die Gemeinden – hauptsächlich im Bereich der Abfallsammlung und manchmal auch noch in der Verwertung.
Wie wird die Abfallsammlung und -verwertung finanziert?
Siedlungsabfall bzw. Kehricht, wie es in der Schweiz heißt, wird in brennbaren Säcken gesammelt, die gegen eine sogenannte Sackgebühr von der Gemeinde erworben werden. Je nach Gemeinde oder Kanton wird auch mit Gebührenmarken gearbeitet, welche auf die Abfallsäcke geklebt werden. Außerdem gibt es hierzulande eine vorgezogene Entsorgungsgebühr für Hersteller, welche auf bestimmte Produkte wie PET-Flaschen, Glas oder Batterien aufgeschlagen wird, um deren Sammlung und Recycling zu bezahlen. Dieses System gibt es bereits seit vielen Jahren.
Kantone handhaben Abfallsammlung teils unterschiedlich
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für Entsorgungsunternehmen in der Schweiz?
Grundsätzlich werden die Gesetze vom Bund gemacht, die Umsetzung erfolgt dann aber spezifisch in den jeweiligen Kantonen oder Gemeinden. Wichtige nationale Gesetze, die wir als Entsorger einhalten müssen, sind das Umweltschutzgesetz (USG), die Verordnung über den Verkehr mit Abfällen (VeVA) sowie die Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (VVEA), welche u. a. regelt, wie Abfälle recycelt werden. Und dann sind da natürlich noch weitere Gesetzgebungen, die von der EU abgeleitet sind, wie die Abfallrahmenrichtlinie und der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft als Teil des European Green Deal.
Sie haben es bereits erwähnt: Die konkrete Umsetzung der bundesstaatlichen Gesetzgebung obliegt den 26 teilsouveränen Kantonen. Wir wirkt sich das auf privatwirtschaftlich agierende Unternehmen aus?
Die einzelnen Kantone oder Gemeinden – und das sind in der Schweiz etwas mehr als 2.100 – interpretieren die Gesetze teilweise sehr unterschiedlich und setzen diese dann auch unterschiedlich um. So lassen die einen den privaten Entsorgern mehr eigenen Spielraum bei der Sammlung und Entsorgung von Abfällen, die anderen wollen die Hoheit über ihre Abfälle behalten und selbst entscheiden, wie Sammel- und Verwertungsprozesse vonstatten gehen und was am Ende mit den Wertstoffen geschieht. Das führt natürlich dazu, dass wir mit diesen Kantonen oder Gemeinden in einem sehr engen Kontakt stehen müssen. Vor allem bei schweizweiten Projekten ist es sehr herausfordernd, hier eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden.
Können Sie die unterschiedliche Handhabung der Abfallsammlung kurz an einem Beispiel erläutern?
Nehmen wir beispielsweise die Sammlung von Grüngut, also Abfällen aus Laub, Unkraut, Hecken- oder Baumschnitt. Bei einigen Kommunen muss man für die Leerung entsprechender Grüngut-Container eine Marke kaufen, zum Beispiel für ein Jahr. Dann gibt es noch die einmalige Leerung, bei der ein Bändchen oder eine Etikette am Container angebracht und nach der Leerung von der Abfallsammlung wieder abgerissen wird. In wiederum anderen Gemeinden oder Kantonen erfolgt die Sammlung über einen RFID-Chip, der am jeweiligen Container befestigt ist und genau einem bestimmten Haushalt zugeordnet werden kann. Bei Leerung wird das jeweilige Gewicht des Grünguts registriert und der Chipnummer zugeordnet. Einmal im Monat oder Quartal bekommen die Abfallverursacher dann eine Rechnung zugeschickt.
Als Entsorgungsunternehmen müssen Sie dann alle Systeme bedienen können?
Richtig. Wobei die Jahresmarken und Abreiß-Bändchen von den Gemeinden organisiert werden, welche sie beispielsweise auf dem Gemeindehaus (vgl. Rathaus in Deutschland) verkaufen oder per Post an die Bürgerinnen und Bürger versenden. In manchen Gemeinden bekommt man Marke und Bändchen auch in bestimmten Supermärkten.
Und wie ist dann die Verwertung von Abfällen organisiert? Wer betreibt beispielsweise die Verbrennungsanlagen?
Kehricht-Verbrennungsanlagen sind grundsätzlich öffentlich geführt, gehören also den Kantonen. Wir als privates Unternehmen haben keine eigenen Anlagen für brennbare Abfälle. Bei den anderen Wertstoffen sieht das ein bisschen anders aus. Hier sind wir frei, diese auf dem Markt zu verwerten. Das kann je nach Abfallart in der Schweiz geschehen oder in Deutschland mit REMONDIS, sodass wir die Abfälle dort im Kreislauf halten.
Gute Abfalltrennung sorgt für hohe Recyclingquote
„Die Schweizer sind Sammler“, sagte Verwaltungsratspräsident der REMONDIS Schweiz AG Pierre Vasseur in einem Interview. Wie erleben Sie die Mentalität Ihrer Landsleute, wenn es um das Getrenntsammeln von Abfällen geht?
Da kann ich mich Pierre Vasseur nur anschließen. Die Getrenntsammlung von Abfällen in der Schweiz funktioniert recht gut – das hat mittlerweile fast Volkssportcharakter. Wir haben zum Beispiel eine Glasrecyclingquote von 97 Prozent. Damit leisten die Menschen hier einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft und tragen dazu bei, dass diese Stoffe im Kreislauf gehalten werden können. Ohne die getrennte Sammlung wäre das für uns als Entsorgungsbetrieb extrem schwierig.
Wie werden die Schweizerinnen und Schweizer für das Getrenntsammeln sensibilisiert?
Da gibt es verschiedene Kampagnen, welche von unseren entsprechenden Verbänden durchgeführt werden. Dabei stehen dann unterschiedliche Abfallfraktionen im Fokus, die zum jeweiligen Zeitpunkt gerade Probleme machen. Beispielsweise wurde die akkubetriebene E-Zigarette nach ihrer Einführung vermehrt in den Kehricht geworfen, der in die Verbrennung geht. Hier wurde dafür sensibilisiert, dass das gefährlich ist und E-Zigaretten getrennt gesammelt werden müssen. Zudem informieren Kantone oder Gemeinden ihre Bürgerinnen und Bürger darüber, wie und wo welche Wertstoffe in der Region entsorgt werden können.
Die Schweiz hat europaweit das größte Abfallaufkommen. Was denken Sie, warum?
Das korreliert wahrscheinlich stark mit dem hohen Wohlstand hierzulande – umso höher der ist, umso mehr wird in der Regel konsumiert. Die Schweiz hat außerdem eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte in Europa. Wenn man diesen Faktor als entscheidend zugrunde legt, kann man davon ausgehen, dass wenn der Wohlstand wächst – was aktuell der Trend ist – auch das Abfallaufkommen steigen wird.
Inwieweit ist Littering ein Problem in der Schweiz?
Das ist auf jeden Fall ein Thema hierzulande. Durch verschiedene Sensibilisierungskampagnen konnte das in den vergangenen Jahren aber ein bisschen reduziert werden. Auch wir als Unternehmen helfen dabei, Menschen für die Probleme von Littering zu sensibilisieren, indem wir beispielsweise regelmäßig Schulklassen über die korrekte Abfalltrennung informieren und diesbezüglich auch aktiv mit der Bevölkerung zusammenarbeiten.
Mit einer Quote von 52 Prozent zählt die Schweiz gleichzeitig zu einem der Spitzenreiter in puncto Recycling. Was können andere Länder hierbei von Ihnen lernen?
Auffallend ist sicher, dass wir in der Schweiz nicht mit einem Pfandsystem arbeiten. Das zeigt vielleicht auch, dass dies nicht unbedingt notwendig ist, um Abfälle wie Glas und PET-Flaschen getrennt zu sammeln und trotzdem eine hohe Recyclingquote zu erzielen. Wir arbeiten stattdessen mit einer vorgezogenen Entsorgungsgebühr (VEG) für Produkte, die deren Sammlung und Recycling abdeckt. Zudem ermöglicht die Schweizer Gesetzgebung und Struktur Unternehmen etwas mehr Freiheiten als in Deutschland, um Leistungen im Bereich Abfallwirtschaft effizienter zu organisieren und innovative Ideen umzusetzen.
Kreislaufwirtschaft in der Schweiz hat noch Potenzial
Inwieweit arbeiten Sie als Schweizer Unternehmen mit dem Mutterkonzern REMONDIS in Deutschland zusammen?
Wir arbeiten in der Verwertung verschiedener Wertstoffe mit der REMONDIS-Gruppe zusammen. Insbesondere betrifft das die Wertstoffe, welche in der Schweiz nicht sinnvoll verwertet werden können. Ansonsten arbeiten wir vor allem mit der Verwaltung des Konzerns zusammen und sind sehr froh, wenn wir insbesondere auf das technische Know-how der deutschen Kolleginnen und Kollegen zugreifen können. Die REMONDIS-Gruppe hat ein großes Wissen über verschiedene Wertstoffe und verfügt, was Umgang und Verwertung angeht, über eine umfassende Expertise.
Worin muss die Schweiz in puncto Kreislaufwirtschaft noch besser werden?
In der Schweiz gibt es noch sehr viel Potenzial in diesem Bereich. Es gehen immer noch zu viele wertvolle Stoffe verloren, die wir im Kreislauf halten und wieder als neue Rohstoffe nutzen könnten. Dazu gehören beispielsweise Kunststoffe, die noch zu oft im brennbaren Abfall landen. Außerdem müssten wir Anreize schaffen, um insbesondere kleinere Gewerbebetriebe für eine bessere Getrenntsammlung zu motivieren. Ein anderer Punkt ist sicher auch, Produzenten in der Schweiz noch stärker dahin zu bringen, die Recyclingfähigkeit von Produkten direkt im Design mitzudenken.
Vielen Dank für das Gespräch!