Liebe Frau Roscher, wir leben in herausfordernden Zeiten: Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise und über allem schwebt der Klimawandel. Welches Thema hat Kommunen in diesem Jahr am meisten beschäftigt und was wird sie auch im kommenden Jahr noch in Atem halten?
Das Jahr 2022 hat für Kommunen eine Vielzahl an Herausforderungen beinhaltet. Neben den genannten Themen sind auch die Flüchtlingskrise und die Frage des bezahlbaren Wohnens von großer Bedeutung für das Leben vor Ort. Die größte Herausforderung ist dabei vor allem die Vielgestaltigkeit der Fragestellungen, die alle drängend sind und Kommunen damit unter ständigen Handlungsdruck setzen.
Im Hinblick auf die aktuellen Krisensituationen sind einfache und schnelle Lösungen kaum zu erwarten, sodass wir uns aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren intensiv mit den genannten Themen befassen werden. Wichtig ist, dass wir heute die Grundlagen für die erforderlichen Transformationsprozesse legen, um diese in Chancen zu verwandeln.
Energiekrise beschäftig Kommunen auch 2023
Beim Thema Energiekrise hat der DStGB Stabilisierungsmaßnahmen für Stadtwerke gefordert. Der Bund ist bisher nicht auf die Forderung eingegangen. Was können kommunale Energieunternehmen tun, um sich 2023 auf sichere Füße zu stellen?
Die aktuelle Energiekrise lastet schwer auf kommunalen Stadtwerken und stellt die Sicherheit unserer Energieversorgung in ein vollkommen neues Licht. Wichtig in der aktuellen Situation ist, dass kurz-, mittel- und langfristige Energieeinsparungen auf allen Ebenen vorangetrieben werden. Zugleich müssen wir unsere Energieversorgung grundlegend neu und resilient aufstellen. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe lässt sich nur in enger Zusammenarbeit von Kommunen, Bund und Ländern lösen. Die gemeinsame Ausarbeitung der Stabilisierungsmaßnahmen ist hierbei ein erster und maßgeblicher Schritt.
Ist der Ausbau erneuerbarer Energien der Schlüssel zur Lösung der Energiekrise? Welche Möglichkeiten haben Städte und Gemeinden, diesen schneller voranzutreiben?
Der Ausbau der erneuerbaren Energie ist ein ganz wesentlicher Baustein, um unsere Energieversorgung lokal langfristig und resilient aufzustellen. Kommunen sind hierbei als Entscheidungsträger vor Ort Schlüsselakteure. Die aktive Beteiligung durch Bürgerenergieprojekte und eine gute Bauleitplanung können erneuerbare Projekte lenken, ausgestalten und die Akzeptanz in der jeweiligen Region steigern. Aus diesem Grund müssen die Neuregelungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien nun dringend von Seiten der Länder ausgestaltet und die finanzielle Beteiligung von Kommunen verpflichtend eingeführt werden.
Wie ist der aktuelle Stand beim energieeffizienten Bauen und Sanieren und wie geht es hier für Kommunen im nächsten Jahr weiter?
Langfristige Energieeinsparungen erweisen sich gerade in der aktuellen Krise als essentiell, um das Klima und auch kommunale Haushalte zu entlasten. Kommunen engagieren sich seit vielen Jahren sowohl im Städtebau als auch für den klimagerechten Wohnungsbau. In den kommenden Monaten sind umfassende Novellierungen der gesetzlichen Regelungen im Bereich des energieeffizienten Bauens und Sanierens angekündigt worden. Damit Städte und Gemeinden hierbei ambitioniert voranschreiten können, braucht es langfristig verlässliche Rahmenbedingungen. Zukünftige Regelungen müssen insofern sinnvolle Anreize für nachhaltiges und energieeffizientes Bauen setzen und eine adäquate finanzielle Förderung von Seiten des Bundes und der Länder beinhalten.
Verkehrswende erfordert umfassende Transformation
Neben der Energiewende wird Kommunen auch im nächsten Jahr weiterhin die Verkehrswende beschäftigen. Hier will der Bund deutschlandweit die Ladesäuleninfrastruktur für E-Mobilität und den Schienenverkehr weiter ausbauen sowie den öffentlichen Nahverkehr stärken, z. B. mit einem 49-Euro-Ticket. Wie gut sind Kommunen aufgestellt, um all diese zweifellos wichtigen, aber auch kostenintensiven Vorhaben umzusetzen? Was muss hier vom Bund kommen, um Kommunen bei der Umsetzung der Verkehrswende 2023 zu unterstützen?
Die Verkehrswende vor Ort erfolgreich zu gestalten, bedarf im Hinblick auf die angesprochenen Themenfelder umfassender Transformationsprozesse. Die grundsätzliche Einigung von Bund und Ländern auf ein bundesweites Ticket ist in diesem Kontext ein wesentlicher Baustein.
Doch für eine erfolgreiche Verkehrswende müssen zugleich die notwendigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um diese effektiv umzusetzen. So bedarf es einer Ausweitung der kommunalen Handlungsinstrumentarien, um hier aktiv Mobilitätskonzepte ausgestalten zu können. Und auch eine auskömmliche Finanzierung von Seiten des Bundes und der Länder ist notwendig, damit bspw. der öffentliche Nahverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.
Welche Hürden stellen sich Städten und Gemeinden beim Thema Klimaschutz und Klimaanpassung, um 2023 wirkungsvolle Politik betreiben zu können?
Eine der größten Herausforderungen für einen gelungenen Klimaschutz und eine effektive Klimaanpassung sind die Fragen der Finanzierung sowie die flächendeckende Bereitstellung adäquaten Fachpersonals und Erfahrungswissen in Kommunen. Gemeinsam mit Bund und Ländern müssen wir eine Aus- und Fortbildungsoffensive starten, um diesen Bereich zu stärken. Zugleich bedarf es bereits heute niedrigschwelliger Informationsangebote für das Personal in Kommunalverwaltungen und Behörden sowie für Bürgerinnen und Bürger. Hier sehen wir wichtige Beiträge bspw. von Seiten der Klimaschutz- und Energieagenturen der Länder, die es weiter auszubauen gilt.
Finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern nötig
Die Finanzlage der Kommune wird sich laut Prognose Ihres Verbandes 2023 weiter verschlechtern. Wo finden Städte und Gemeinden finanzielle Unterstützung, um Vorhaben umzusetzen? Wie profitieren sie auch vom neu aufgelegten Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung, der ab nächstem Jahr ein wesentliches Finanzierungsinstrument für die Energiewende und Klimaschutz sein soll?
Die Finanzsituation in vielen Kommunen ist sehr angespannt und wird durch die aktuelle Energiekrise deutlich verschärft. Um die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der Städte und Gemeinden und damit kommunale Infrastrukturen sowie Daseinsfürsorge zu sichern, bedarf es dringend finanzieller Unterstützung von Seiten des Bundes und der Länder.
Der „Klima- und Transformationsfonds“ legt einen starken Fokus auf die Ziele des Klimaschutzgesetzes und adressiert damit eine von vielen und zugleich eine sehr wichtige kommunale Aufgabenstellung. Mit dem Schwerpunkt auf Gebäudesanierungen, Elektromobilität und weiterer Klimaschutzmaßnahmen werden wichtige Kernpunkte des Klimaschutzes angesprochen.
Wesentlich ist nun, dass darauf beruhende Förderprogramme und die Förderpolitik langfristig vereinfacht und ergebnisorientiert auf THG-Minderungen ausgerichtet werden. Gerade vor dem Hintergrund geringer Personal- und Sachmittelkapazitäten müssen verfügbare Ressourcen vorrangig auf die Projektrealisierung und nicht die Antragstellung konzentriert werden.
Was kann der Deutsche Städte- und Gemeindebund als Interessenvertreter kreisangehöriger Gemeinden tun, um seine Mitglieder bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen zu unterstützen?
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund setzt sich als kommunaler Spitzenverband seit Jahren für den Klimaschutz und die Klimaanpassung in unseren Städten und Gemeinden ein. Zentrales Element unserer Arbeit ist es, die Interessen von Kommunen in politische Entscheidungsfindungsprozesse einzubringen sowie Wissenstransfer und Austausch von Kommunen im Kontext des Klimaschutzes und der Klimaanpassung zu fördern. Zu diesem Zwecke veröffentlichen wir unter anderem auf unserer Website inspirierende Beispiele für „Klimaschutz vor Ort“ und widmen uns im Rahmen unserer Dokumentationen dieser Thematik, so, wie beispielsweise in unserer neusten Veröffentlichung „Klimaschutz und Klimaanpassung in der kommunalen Planung“.
Vielen Dank für das Gespräch!